Vierter und letzter Teil der East Side Story
29.11.2016
· Leben
· East Side Story
· 21 min ·
Ein kalter Wind weht durch die Stadt und die New Yorker schlagen die Krägen ihrer Mäntel nach oben, als ich an meinem Kaffee „to go“ nippe. Donald Trump ist der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Liebe Leserinnen, liebe Leser. Dieser letzte Teil meiner Serie aus dem Nordosten der USA soll in erster Linie ein Reisebericht sein. Dennoch wurde ich an vielen Stellen der Strecke unvermeidlich von den Präsidentschaftswahlen verfolgt, die drei Tage vor meiner Reise zurück ins heimatliche Deutschland anstanden. Folgen Sie mir also ein letztes Mal auf meiner Reise durch the home of the brave and the land of the free.
Zwei Dinge noch, bevor es losgeht:
Für die allgemeinen Informationen zu den Städten kann ich nur auf den Artikel von Jonas Mügge im Neologismus vom Juli verweisen.
Die hier wiedergegebenen Dialoge mit anderen Menschen sind nach Gedächtnisprotokoll niedergeschrieben und teilweise der Einfachheit halber übersetzt.
Washington, D.C.
Der erste Halt auf meiner Rundreise: Washington D.C., die Bundeshauptstadt der Vereinigten Staaten, benannt nach dem großen Staatsvater, George Washington. Und ich hätte es nicht erwartet, aber ich habe nochmal einige Grundlagen über amerikanische Geschichte lernen können, zwischen all den Monumenten, Archiven, Museen und historischen Gebäuden. Das ist nämlich das Tolle an Washington: Alles ist so furchtbar nah beieinander und kann in der Regel kostenlos und ohne Voranmeldung besucht werden – und in den vier Tagen habe ich viel gesehen. Vom Nationalarchiv, in dem man Originale der Unabhängigkeitserklärung, der Verfassung der Vereinigten Staaten und dem Bill of Rights betrachten kann (und lernt, wie sie zusammenhängen und warum es sie jeweils gibt); durch das Kapitol, in dem das House of Representatives und der Senate tagen, durch das man sich führen lassen kann, und vor dem schon Ende Oktober die Bühne für den Inauguration Day, den Tag der Amtseinführung des neuen, damals noch nicht bekannten Präsidenten; über die Library of Congress, deren beeindruckenden Lesesaal ich bislang nur aus Templer-Filmen mit Nicholas Cage kannte und den man leider nur durch eine Glasscheibe betrachten durfte; zum Weißen Haus, das sich im Gegensatz zu den anderen Attraktionen schon fast versteckt in seinem Park und hinter Bäumen.
Es ist wohl inzwischen auch dem letzten klar geworden, dass am 8. November in den USA Präsidentschaftswahlen anstehen. Für die meisten Deutschen scheint die Entscheidung zwischen dem republikanischen Kandidaten Donald Trump und der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton eine sehr einfache zu sein.
Ich hatte hier die Chance, mich mit der amerikanischen Sicht auf die Kandidaten auseinanderzusetzen, mich mit einigen Wahlberechtigten zu unterhalten, und sehe das ganze Thema dann doch nicht als so einfache Entscheidung.
Doch bevor wir in die Probleme der Kandidaten der diesjährigen Wahl einsteigen, möchte ich erst das politische System hier in den USA kurz umreißen.
Politisches System
In den USA setzt sich das politische System, wie in Deutschland auch, aus drei Teilen zusammen: Der Legislative (die Gesetze verabschiedet), der Exekutive (die Gesetze umsetzt und regiert) und der Judikative (dem Gerichtssystem). Anders als in Deutschland gibt es hier in den USA echte Gewaltentrennung: Ist in Deutschland die Bundeskanzlerin Teil als „Chefin“ der Exekutive auch Teil des Bundestages, der Legislative, so kann hier in den USA der Präsident niemals Teil des Parlaments sein.
Wie in Deutschland besteht das Parlament, auch Congress genannt, hier aus zwei Kammern: Das House of Representatives und der Senate. Diese beiden Kammern sind verantwortlich für Gesetzgebung, sowie Entscheidungen über den Bundeshaushalt.1 Das House of Representatives besteht aus 435 Abgeordneten, die alle zwei Jahre in den einzelnen Congressional Districts, vergleichbar mit den deutschen Wahlbezirken, in mit einfacher Mehrheit gewählt werden – quasi die Bundestagswahl nur mit Erststimmen. Der Senate besteht aus jeweils zwei Abgeordneten pro Bundesstaat (unabhängig von dessen Größe); alle 2 Jahre wird jeweils ein Drittel per einfacher Mehrheit im jeweiligen Bundesstaat neu gewählt.
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt der USA. Alle vier Jahre von der Bevölkerung gewählt (dazu später mehr), ist er außerdem Regierungschef und Oberbefehlshaber der Truppen.2 Anders als die Bundeskanzlerin in Deutschland hat ein Präsident hier höchstens zwei Amtszeiten. Der amerikanische Präsident hat ein Vetorecht gegen Gesetzesentwürfe aus dem Kongress, das allerdings mit Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern übergangen werden kann. Außerdem ernennt der Präsident die Richter des Supreme Court, dem obersten Gerichtshof der USA vergleichbar mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht. Da der Präsident nicht vom Kongress gewählt wird, kann es vorkommen, dass die Partei, der er angehört, keine Mehrheit in den Kammern hat. Außerdem kann er vom Kongress seines Amtes enthoben werden, man spricht von Impeachment.
Ein Interpretationsversuch
02.11.2016
· Feuilleton
· 16 min ·
Down along the creek I remember something Her, the heron hurried away When first I breeched that last Sunday
Low moon don the yellow road I remember something That leaving wasn’t easing All that heaving in my vines And as certain it is evening ‘at is NOW is not the Time’
Toiling with your blood I remember something In B, un—rationed kissing on a night second to last
Finding both your hands As second sun came past the glass And oh, I know it felt right And I had you in my grasp
Oh, then how we gonna cry? Cause it once might not mean something? Love, a second glance It is not something that we’ll need Honey, understand that I have been left here in the reeds But all I’m trying to do is get my feet out from the crease
And I see you Turn around, you’re my A-Team Turn around, now, you’re my A-Team God damn, turn around now You’re my A-Team
Bon Iver, eine künstlerisch abgewandelte Form des französischen „bon hiver“, „Schöner Winter“, ist das Singer-Songwriter-Projekt des Sängers, Gitarristen und Organisten Justin Vernon, wie Wikipedia treffend zusammenfasst. Ich bin damals durch meinen Bruder auf den Künstler gebracht worden, dessen melancholische Musik irgendwie einen ganz besonderen Klang hat. Nach fünf Jahren Pause gibt es jetzt wieder ein neues Album von Bon Iver, das auf dem YouTube-Channel des Künstlers in einer Reihe von sehr künstlerischen Lyric-Videos anzuhören ist.
Viele Fans, darunter auch mein Bruder, werfen dem neuen Album einen starken Stilbruch vor und nennen die Musik nicht zu unrecht „komisch“. Es ist nämlich ganz ohne Zweifel keine Musik, die man einfach mal nebenher hört; sie verlangt im Gegenteil, aktiv wahrgenommen zu werden. Und das ist etwas, was ich gemacht habe, als ich das zweite Mal 715 – CRΣΣKS gehört habe. Zuerst hat mich das Lied gestört, weil es nur aus einem obskur ge-autotune-ten Sänger besteht. Dann haben mich jedoch die Stimmung des Liedes und seine Metaphorik so sehr mitgenommen, dass ich mir in den Kopf gesetzt habe, zu verstehen, was uns der Sänger eigentlich mitteilen möchte und worum es in dem Text geht – oder das zumindest zu versuchen. Ein strukturierteres Resultat als den von mir in kleiner Schrift vollgekritzelten DIN-A4-Zettel möchte ich hier präsentieren. Es mag vielleicht manchmal so klingen, als würde ich komplett überinterpretieren, aber der komplette Aufbau des Liedes als Gesamtkunstwerk verlangt so eine Interpretation.
And I won’t forget the men who died, who gave that right to me. And I’d gladly stand up next to you and defend her still today. ‘Cause there ain’t no doubt I love this land, God bless the U.S.A.”
Herzlich willkommen zum zweiten Teil meines Reiseberichts aus den (großartigen) Vereinigten Staaten von Amerika. Wie bereits angekündigt, werde ich mich in diesem Teil besonders auf die Eigenarten des Landes und seiner Bewohner konzentrieren. Denn – und das kann ich zweifelsohne sagen – hier ist einiges anders als in Deutschland.
Auch wenn es vielleicht manchmal so klingt: Ich will nicht sagen, dass das hier schlecht ist – ich finde nur manche Dinge, wie die Tatsache, dass Gemüsebrühe hier in Tetra-Packs statt Pulverform verkauft wird, schon ein bisschen lustig. Und genau diese kleinen Geschichten möchte ich mit euch, liebe Leser, teilen.
Im Auto
Ohne Auto geht hier gar nichts. Ich käme nicht zur Arbeit, nicht zum Einkaufen, noch nicht mal weg vom Apartmentkomplex in dem ich untergebracht bin. Folglich haben so ziemlich alle Amerikaner (außer vielleicht jene, die in den Städten wohnen, in denen es echten ÖPNV gibt) ein Auto.
Und ganz grundsätzlich lässt sich feststellen: Verkehrsregeln sind erst mal optional, wenn nicht explizit ein Schild dransteht, dass bestimmtes Verhalten verbietet. An Ampeln an der Haltelinie halten? Macht keiner. Außer, es steht ein Schild da: „Stop here on red“, mit einem kleinen Pfeil der auf die Haltelinie am Boden zeigt. Auf einer mehrspurigen Straße als langsamerer Fahrer möglichst rechts fahren? Erst, wenn ein Schild dran steht.
Auch ganz offensichtliche Sachverhalte werden durch Schilder nochmals klargestellt: Wenn einem der große Pfeil auf dem Boden noch nicht gezeigt hat, dass man sich auf einer Linksabbiegerspur befindet, tut es definitiv das Schild: „Left Lane must turn left“. Und an der Linksabbiegerampel, die wie in Deutschland mit Pfeilsymbolen leuchtet, steht zur Sicherheit auch noch ein Schild: „Left turn signal“. Wenn es keinen Grünpfeil für Linksabbieger gibt, steht an der Ampel der offensichtliche Hinweis: „Yield on green“ – man soll also dem Gegenverkehr Vorfahrt gewähren als Linksabbieger, wer wäre da drauf gekommen? Manchmal findet man auch Ampeln, die mit dem Hinweis „Wait for green“ gekennzeichnet sind. Auf den ersten Blick ganz amüsant, weil, wofür sonst die Ampel, aber in Amerika dann doch relevant: Man darf nämlich an Kreuzungen mit Ampel auch abbiegen, wenn es rot ist – außer das Schild steht da.