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Das Recht auf Vergessen

Man jubelt: „Ein Sieg gegen Google!“ Denn Google muss laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs Daten aus seinen Suchergebnissen löschen, wenn sich „natürliche Personen“ in Ihrer Privatsphäre verletzt fühlen.

Anlass für den Prozess war ein Spanier, der eine 15 Jahre alte Zeitungsmeldung über die Versteigerung seines Grundstücks, „die im Zusammenhang mit einer Pfändung wegen Schulden stand“, gerne gelöscht hätte. Seine finanziellen Probleme seien gelöst, die Meldung damit veraltet und heute nicht mehr korrekt, sollten also bitte vom Internet „vergessen“ werden. Und obwohl sich das Urteil nur auf Google (und andere Suchmaschinen zu beziehen scheint), ist die Aufforderung zur Löschung der Daten auch bei der spanischen Zeitung abgegeben worden. Letzteres halte ich für richtig. Eine Löschung bei Google hingegen nicht.

Die Aufgabe „Suchmaschine“

Von einer Suchmaschine erwarte ich, dass sie mir eine komplette Liste der im Internet auffindbaren Dinge zu einem bestimmten Thema zeigt. Im Idealfall ist diese Liste in einer Art und Weise sortiert, sodass ich relevante Informationen schneller finde, um meine Recherche effizienter betreiben zu können. All das schafft Google inzwischen ziemlich gut, was aber leider auch dazu führt, dass Dinge, die sonst vergessen werden würden, bei Zeiten aus diversen Archiven wieder ans Tageslicht gebracht werden. Das ist prinzipiell ja nicht schlecht; noch nie war es so einfach, auch zu abstrusen Themen so einfach Informationen und Quellen zu finden, selbst wenn sie weit zurückliegen. Es gibt aber auch Dinge, die aus der Sicht einzelner heraus besser vergessen blieben, wie im aktuellen Fall eben die Schuldenprobleme.

Zwei Arten des Vergessens

Meiner Meinung nach wird hier aber durcheinandergeworfen, was man mit „Vergessen“ eigentlich meint. Es ist eine Sache, ob ich mir eine Information einfach merke und dann vergesse, oder ob ich sie mir aufschreibe und dann vergesse, wo ich sie hingelegt habe. Genauso ist es ein Unterschied, ob ich die Original-Quelle, nämlich die 15 Jahre alte Zeitung im Internet lösche („vergesse“), oder ob ich den Verweis darauf in (allen) Suchmaschinen lösche, also quasi den Aufenthaltsort der Information vergesse. Ersteres ist zwar schade um die Information, die irgendwann für die Nachwelt von fundamentaler Bedeutung sein könnte, beendet aber den Eingriff in die Privatsphäre sofort und nachhaltig. Letzteres macht es letztendlich nur komplizierter, die Information irgendwann mal aufzuspüren; und die Privatsphäre bleibt von der Quelle genauso verletzt wie vorher.

Anschaulich

Wenn ich in einer Bibliothek ein Buch suche, erwarte ich, dass ich es über eine Art Index schnell auffinden kann. Steht das Buch nicht im Index, weiß ich, das Buch gibt es in der Bibliothek nicht.

Jetzt steht in der Bibliothek ein aus irgendwelchen Gründen „illegales“ Buch. Nehmen wir an, es verbreitet rechtsradikale Propaganda, ist extrem anti-semitisch und zudem voll von verbotenen Abbildungen zum Ziel der Verdeutlichung der Inhalte. Was ist der sinnvollere Ansatz: Das Buch aus der Bibliothek zu entfernen oder es vom Buchindex zu entfernen, damit man es höchstens zufällig finden kann? Eine Streichung aus dem Index halte ich schlichtweg für etwas der Idee des Index entgegenlaufendes und damit Unsinniges.

Regulierung richtig

Natürlich ist Google nicht nur eine Suchmaschine, ein Index des Internets. Google ist – überspitzt gesagt – ein Konzern, der Werbung im Internet verkauft und als kleines Extra eine Suchmaschine betreibt, damit man die Werbung besser findet. Eine Regulierung von Google ist daher prinzipiell keine schlechte Idee, vor allem, da auf Grund seiner Quasi-Monopolstellung das finden von Alternativen sehr schwer bis unmöglich ist.

Für mich müsste eine Regulierung von Google (und anderen Suchmaschinen) in erster Linie Transparenz über die Sortierung bringen und diese „fair“ gestalten. Was fließt wie stark in die Bewertung ein, ob ein Ergebnis weit oben steht oder eher auf den niedrigen Plätzen? Zum Beispiel die Beliebtheit von Websites (mit dem Argument, wer viele Besucher hat, muss auch entsprechend qualitative Informationen anbieten, um so viele Besucher zu haben). Nicht mit dem Argument der (versteckten) (Eigen-)Werbung. (Ich will schließlich einen Index.) Wohl aber auch mit dem Argument des Alters der Meldungen: Was 15 Jahre her ist, kann auch weiter hinten kommen. Dass Google in der Lage ist, das Alter von Dokumenten zu erfassen, sieht man inzwischen gerade bei Nachrichten immer häufiger an der kleinen Angabe „vor X Stunden“. Und wenn ein Historiker etwas finden will, was zeitlich weiter zurückliegt, kann er seine Suche eben dahingehend eingrenzen; auch das geht.

Wenn etwas im öffentlichen Teil des Internets (damit sind passwortgeschützte, geheime Seiten natürlich ausgeschlossen) existiert, sollte es auch in einem fairen Index zu finden sein. Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, einen solchen Index zu schaffen oder ermöglichen, ob er nun Google heißt oder irgendwie anders.

Nachtrag

Was direkt nach dem Urteil erwartet wurde, scheint inzwischen einzutreten: „Google wird mit Löschanfragen überhäuft“. Die Möglichkeit, den eigenen Lebenslauf aufzupolieren scheint rege genutzt zu werden, damit das eigene Leben auch auf Google so perfekt scheint, wie man es auf Facebook darzustellen versucht.

Inzwischen hat Google auch ein Formular zur Beantragung der Löschung von Links online gestellt, über das bereits am ersten Tag 12.000 Löschungsanfragen eingegangen sein sollen. Weitere Schritte wie ein externer Beraterausschuss wurden ebenfalls angekündigt.

Die (im Übrigen für rechtmäßig erklärten) Zeitungsartikel von 1998 sind noch über Google auffindbar: 1, 2. Im Kasten für Bekanntmachungen (zumindest gehe ich davon aus, dass es so etwas ist) findet sich der Name des Betroffenen.

Ein interessanter Vortrag zum Weiterdenken beim Thema Regulierung findet sich hier: „re:publica 2014 - Frank Rieger: Wer soll uns regulieren?“


Ebenfalls erschienen im Neologismus 14-05

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