Hermann Gröhe und die freie Marktwirtschaft in öffentlichen Krankenhäusern

Am 15. Januar hat Gesundheitsminister Gröhe angekündigt: „Wir wollen die Qualität im Gesundheitswesen stärken und sichern und letztlich zum entscheidenden Kriterium für die ambulante und stationäre Versorgung in diesem Land machen.“ Mal ganz abgesehen davon, dass ich schockiert war, das Qualität scheinbar nie das relevante Kriterium meiner gesundheitlichen Behandlungen war, ist allerdings die Frage der Umsetzung an dieser Stelle noch viel interessanter: Dazu soll nämlich ein neues Institut gegründet werden, das alle Daten zu Behandlungserfolgen und Problemen von Patienten in allen Krankenhäusern sammelt, auswertet und die Ergebnisse online verfügbar macht. Gute Krankenhäuser sollen belohnt werden, schlechte bestraft. Finanziell.

Natürlich kann man an dieser Stelle den Datenschutz kritisieren: Hier werden Gesundheitsdaten einfach weitergegeben, „fällt das nicht unter die ärztliche Schweigepflicht?“! Doch in meinen Augen ist der finanzielle Aspekt das weit größere Problem: Wie soll sich die Lage in einem „schlechten“ Krankenhaus verbessern, wenn man ihm die Mittel streicht, mehr kompetentes Personal einzustellen oder neue medizintechnische Geräte anzuschaffen? Und „schlechte“ Krankenhäuser werden nicht nur so immer schlechter (während „gute“ immer besser werden), nein, das ganze wird auch noch im Internet angeprangert, sodass die Patienten zu den „besseren“ gehen. Wenn sie denn können! Krankenhäuser sind Einrichtungen, die weit seltener als z.B. Tankstellen vorkommen. Im Zweifel ist es nicht möglich, sich auszusuchen, welches man besuchen will, weil nur eines in Reichweite ist. Dies gilt insbesondere für Notfälle, wo der Transport zum Krankenhaus durchaus zeitkritisch sein kann; aber auch für Menschen, die auf Transport mit dem Auto (vielleicht noch durch Familienmitglieder, weil sie selbst nicht fahren dürfen/können) zum Krankenhaus verzichten müssen und auf Öffentliche Verkehrsmittel oder Ähnliches angewiesen sind. Und das führt zu einem Zwei-Klassen-System! Nicht nur wird eine Schere zwischen „guten“ und „schlechten“ Krankenhäusern immer weiter geöffnet, die Verteilung auf diese ist auch noch abhängig von den finanziellen Mitteln der Patienten.

Was kann man also tun? Sollen wir Qualitätskontrollen künftig wegfallen lassen? Damit Krankenhäuser gar keinen Anreiz mehr haben, Patienten qualifiziert zu behandeln? Ein bisschen marktwirtschaftlicher Druck kann doch nicht schaden! Eine Behörde, die Leistungen vergleicht und Ergebnisse online veröffentlicht, hat doch schon bei Spritpreisen in Tankstellen geholfen und Wettbewerb gefördert!

Jetzt ist aber ein Krankenhaus nicht direkt mit einer Tankstelle vergleichbar. Wie oben bereits angesprochen, haben wir von letzteren wesentlich mehr in Deutschland, eine weitaus größere Auswahl. Zum anderen ist es bei Tankstellen wesentlich einfacher, Leistungen objektiv zu vergleichen: Die Qualität des Benzins ist bei den einzelnen Sorten einheitlich, also muss man nur die Preise nach Treibstoffsorte für jede Tankstelle veröffentlichen und das ganze noch nett sortieren. Das ist bei Krankenhäusern schon nicht möglich, weil man (zumindest wenn man nicht in ein privates geht), überhaupt nicht bezahlen muss. Also muss man so etwas wie die „Erfolgs- und Zufriedenheitsquote“ berechnen, was sehr aufwändig und subjektiv sein kann. Außerdem wird so ein Krankenhaus pauschal bewertet, obwohl die eigentlichen Leistungen doch von der Güte der Behandlung durch Individuen (wie Ärzte, PflegerInnen, Verwaltungspersonal) abhängt. Eigentlich müsste man die bewerten und denen finanzielle Mittel streichen! An dieser Stelle kann man den Datenschutz zu Recht kritisieren: Hier geht es um personenbezogene Daten, die zentral zu sammeln und auszuwerten mir persönlich Bauchschmerzen bereiten würde. Ein dezentrales Prinzip könnte jedoch hier viel besser funktionieren: Abteilungsleiter könnten ihre Teammitglieder im Arbeitsalltag beobachten und mit offenem Auge und offenem Ohr Probleme erkennen und selbst Lösungsansätze entwickeln und ausprobieren. Sollte es mal um etwas Größeres gehen, könnten Problem und Anregungen auch an die nächsthöhere Ebene weitergeleitet werden, die sich dann mit dem Problem befassen. Eigentlich dachte ich immer, wäre das nicht nur der logischste Ansatz, sondern auch gängige Praxis nicht nur in Krankenhäusern. Aufgabe einer Gesetzgebung ist meiner Meinung nach, dieses Vorgehen zu fördern.

Dennoch will ich Gröhes geplante Behörde nicht als völlig unnötig bezeichnen. Wie es an Schulen auch die AQS gibt, die die „Qualität“ einer Schule misst und dieser mitteilt, könnte es an Krankenhäusern ein ähnliches System geben: Die Krankenhäuser werden „objektiv“ bewertet und erhalten ein detailliertes Feedback und eine grobe Einschätzung ihrer „Qualität“ im Vergleich zum Durchschnitt. Im Gegensatz zur AQS sollten hier die Maßnahmen allerdings nicht aufhören und konsequenzlos bleiben (dann wäre sie ja fast sinnlos): Da bei „schlechten“ Krankenhäusern Missstände in einzelnen Abteilungen offensichtlich nicht mit dem oben erwähnten Prinzip behoben werden konnten, so dass sie sich bis in eine Gesamtwertung hin auswirken, wird dem Krankenhaus ein (oder mehrere) Berater zur Seite gestellt, der die Arbeitsabläufe beobachtet und die einzelnen dezentralen Stellen bei Problemlösungen und dem Problemlösungsverfahren inhaltlich unterstützt. So kann Qualität als Kriterium gestärkt werden, ohne zwanghaft Druck aufzubauen.

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Titelbild: Pieter van Marion (CC BY-NC 2.0)
Ebenfalls erschienen im Neologismus 14-05

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