Navigation

Kann es Allwissenheit geben?

Oder: Ich bringe mich mit einer naiven Idee sprichwörtlich in Teufels Küche

Es ist eine dieser Fragen, auf die man so stößt und bei denen sich denkt: „Hm, das klingt auf den ersten Blick ganz einfach. Aber irgendwie ist das kompliziert…“

Ich persönlich bin auf diese Frage gestoßen, als ich mir die (sehr empfehlenswerten) Aufgabezettel zur Aufnahme in ein Stipendium am All Souls College der University of Oxford gelesen habe. In der Kategorie „Philosophy“ wurde gefragt:

„4. Is omniscience possible?“

Oder auf Deutsch: „Ist Allwissenheit möglich?“

Man ist hier schnell versucht zu sagen: „Natürlich nicht, so viel Wissen, wie es gibt; wer soll sich das denn alles merken können! Und überhaupt, die Zeit, das Alles zu lernen, hat ja keiner!“ Aber irgendwie ist es dann doch etwas komplizierter, wenn man sich vor Augen führt, dass die Frage ja gar nicht fordert, dass es sich bei dem/der Allwissenden um einen Mensch handeln muss.

Und selbst, wenn man sagt, „das Universum ist (in allen Dimensionen) unendlich groß, es gibt also unendlich viel Wissen“, muss man dann auch in Betracht ziehen, dass ebenso ein metaphorisch „unendlich großes Gehirn“ vorliegen könnte, das unendlich viel Zeit hat. Zum Beispiel könnte man hier Gott nehmen, um dessen Existenz man zwar streitet, dessen Allwissenheit aber in breiten Kreisen akzeptiert ist.

Allmächtigkeit als Parallele?

Man muss also irgendwie allgemeiner und vor allem logisch konsequent an die Frage nach der Allwissenheit herangehen. Bleibt man beim Beispiel Gott, prüft aber einer seiner anderen Fähigkeiten – die Allmächtigkeit – so kann man recht schnell und simpel wie folgt argumentieren:

Wenn jemand (z.B. Gott) allmächtig ist, kann er in seiner Allmacht ein Objekt schaffen (z.B. einen Stein), das niemand, nicht mal er selbst, bewegen kann. Nun versucht er, dieses Objekt zu bewegen, mit aller Allmächtigkeit, die er besitzt. Zwei Optionen:

  1. Er kann das Objekt bewegen. Dies zeigt, dass er nicht in der Lage war, ein Objekt zu erschaffen, das niemand bewegen kann. Er ist also nicht allmächtig.
  2. Er kann das Objekt nicht bewegen. Offensichtlich ist er also nicht allmächtig.

Dieses Paradoxon zeigt durch einen einfachen Widerspruch recht schnell, dass Allmächtigkeit unmöglich ist.

Versucht man dieses Paradoxon nun irgendwie auf Allwissenheit zu übertragen, scheitert man. Ein unbeholfener Versuch wäre zum Beispiel ein unlösbares Rätsel: „Wenn jemand allwissend ist, muss er auch ein Rätsel wissen, das niemand, nicht mal er selbst, lösen kann. Kann er es dann selbst lösen, wusste er ein solches Rätsel eben nicht; kann er es nicht lösen, ist er nicht allwissend.“

Allwissenheit: Unwahrheiten, Metaebene und Passivität

Wie man vielleicht schon beim Lesen gemerkt hat, hinkt mein „Paradoxon des unlösbaren Rätsels“ ein bisschen. Hauptsächlich liegt das an dem Problem, dass man als Allwissender eben nicht alles als Wahrheit wissen muss, was möglich ist, sondern nur das, was auch tatsächlich wahr ist.

Beispiel: Natürlich weiß ich (nicht nur) als Allwissender, dass (im Rahmen unserer Mathematik) 1 + 1 = 2 ist. Nur, weil die Formel 1 + 1 = 3 genauso vorstellbar wäre, muss ich sie noch lange nicht als Wahrheit wissen – sie ist schließlich falsch. Und genauso muss ich als Allwissender nicht unbedingt ein unlösbares Rätsel kennen, wenn es nicht existiert, bzw. die Lösung für ein unlösbares Rätsel, wenn es keine gibt (sondern in diesem Fall nur, dass es unlösbar ist, was auch eine Antwort sein kann).

Über die Möglichkeit solcher Unwahrheiten weiß ich natürlich dann trotzdem. Wie bei jeder Art von Fiktion weiß ich allerdings genau, dass das nicht die Wahrheit sein muss, sondern irgendwie in einer Parallelwelt oder Metaebene liegt.

Und so kann ich jedes Paradoxon ganz einfach in die Metaebene schieben: „Ich bin Allwissend, also weiß ich, dass ich auch nur begrenztes Wissen haben könnte. Allerdings weiß ich, dass dem nicht wirklich so ist, sondern dass das nur eine Möglichkeit ist, in der Metaebene, und meine Allwissenheit gar nicht beschränkt.“

Letztendlich ist Allwissenheit, im Gegensatz zu Allmächtigkeit, nichts Aktives, sondern etwas Passives. Etwas Aktives lässt sich schnell in einen Widerspruch verstricken, etwas Passives offensichtlich eher nicht.

Eine unorthodoxe Idee

Es scheint, als wäre Allwissenheit in erster Linie nur eine Definition ihrer selbst und in keinster Weise widerlegbar. Erfreulicherweise legen uns die Naturwissenschaften bei solchen Problemen ein praktisches Mittel an die Hand, dass ich nun dreisterweise ohne Rücksicht auf Verluste auf die Philosophie übertragen werde: Falsifizierbarkeit.

Falsifizierbarkeit

Falsifizierbarkeit bedeutet, dass es zu einer (wissenschaftlichen) Theorie die Möglichkeit gibt, diese zu widerlegen. Beispiel: Die Theorie „alle Raben sind schwarz“ lässt sich widerlegen, indem ich einen Raben finde, der weiß ist. Damit ist die Theorie falsifizierbar, da die Möglichkeit besteht, sie zu widerlegen. Ob das dann auch geschieht, ist eine andere Frage – schließlich muss es nicht unbedingt wirklich einen weißen Raben geben.

Mit einer leichten Modifikation wird die Theorie „alle Raben sind schwarz“ jedoch wieder nicht falsifizierbar: Angenommen, ich finde ein weißes Tier, dass in allen Eigenschaften außer der Farbe einem Raben entspricht – nach bestem Wissen und Gewissen also ein Rabe ist – und dann gesagt wird: „Ja, dieses weiße Tier ist zwar schön und gut – aber offensichtlich kein Rabe; es ist schließlich weiß!“ Dann handelt es sich bei der „Theorie“ „alle Raben sind schwarz“ eher um eine Definition. Die These ist nicht falsifizierbar.

Eine ordentliche wissenschaftliche Theorie sollte falsifizierbar sein, damit man sie als wahr anerkennen darf – sonst definiert sie nur, anstatt eine Aussage zu treffen, die die Wissenschaft voran bringt. Mit anderen Worten: Natürlich kann man an eine nicht falsifizierbare Theorie glauben – schließlich gibt es nichts, was dagegen spricht –, es ist aber nicht sinnvoll, das zu tun.

Und diese Erkenntnis übertrage ich nun auf unser philosophisches Problem: Es ist ohne Probleme möglich, an Allwissenheit zu glauben – es gibt nichts, was dagegen spricht (und wahrscheinlich sogar nichts, was jemals irgendwie dagegensprechen könnte). Aus genau diesem Grund ist es aber nicht sinnvoll, das zu tun. Das Fazit muss also krass formuliert sein:

Allwissenheit ist unmöglich.

In Teufels Küche

Natürlich stimmt das nicht. Jedenfalls habe ich nicht logisch Bewiesen, dass dem so ist – ich ziehe das nur als Fazit aus meinen Sinnhaftigkeits-Überlegungen.

Ein zweites Problem ist weitaus schlimmer: Wenn ich Falsifizierbarkeit schon auf die Philosophie loslasse, warum gehe ich dann nicht direkt weiter und wende sie auch auf z.B. Mathematik an? Nun ist die gesamte Mathematik, da sie ihrem Wesen nach auf nicht bewiesenen Axiomen aufbaut, nicht falsifizierbar. Die Grundlagen der Mathematik sind letztendlich Definitionen wie „1 + 1 = 2“. Die sind zwar in der Regel (wenngleich sie manchmal kompliziert formuliert werden) irgendwie einleuchtender als die philosophischen Fragen, gegen die ich eben mit der Falsifizierbarkeit argumentiert habe. Dennoch müsste ich, wäre ich konsequent, die komplette Mathematik jetzt als unsinnig ansehen und verwerfen.

Das habe ich jedoch nicht vor. Ich verstecke mich hier hinter dem Argument, dass die Axiome der Mathematik irgendwie „auf der Hand liegen“. Außerdem hat sich Mathematik bislang als äußerst sinnvolles Werkzeug gerade im Bereich der Naturwissenschaften etabliert, dass mit seinen Beobachtungen zu Theorien die zu Grunde liegende Mathematik in den von ihr getroffenen Aussagen bestärkt. Es scheint halt zu stimmen, was man so berechnet.

Was nun?

Alles in allem bleibt die Überlegung, das Mittel der Falsifizierbarkeit aus dem Kontext zu reißen und auf ein völlig anderes Themengebiet anzuwenden, ein reines (und vor allem schlecht recherchiertes) Gedankenexperiment. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Übertragung von in ihrem Bereich etablierten Methoden in neue Felder viel Potential hat, ein paar neue Erkenntnisse hervorzubringen.

Daher freue ich mich nicht nur über Zusendungen, wie man Allwissenheit sonst noch beweisen oder widerlegen könnte, sondern auch über andere Ideen zu ähnlichen Methoden – ein Kommentar reicht.


Ebenfalls erschienen im Neologismus 15-02

Mehr lesen