Navigation

Ein paar Sätze zum Aufschieben

[Bei Gelegenheit hier einen Untertitel einfügen]

Ich bin ziemlich gut im Aufschieben. Wenn mir etwas nicht wirklich gefällt oder gerade gut in meinen Plan passt, dann bleibt es liegen. Und das so lange, bis sich irgendwann eine Deadline nähert, und ich gezwungen werde, etwas zu tun.

So wie dieser Text hier. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, noch etwas zum Thema Flüchtlinge zu schreiben. (Vielleicht schaffe ich das auch noch bis zum Redaktionsschluss – morgen Abend.) Aber da war noch dieses und jenes, und überhaupt… Und so ist der Abend vor Redaktionsschluss und es werden noch Texte für die nächste Ausgabe gebraucht.

Dabei würde es an Ideen meinerseits nicht mangeln: Ich will schon seit Monaten mal jemand Kompetentes zum Thema Journalismus und Pressefreiheit interviewen. Ich hatte überlegt, der Bundestagsabgeordneten meines Wahlkreises ein paar Fragen zu Politikverdrossenheit zu stellen. Himmel, ich habe sogar schon eine ausgearbeitete Struktur für einen Artikel über das CERN, der noch von der Kursfahrt dorthin im Jahr 2013 stammt und nie ausformuliert wurde.

Das Problem am Aufschieben ist, dass die Dinge, die man aufschiebt, so langsam in verschiedene, im Folgenden aufgeführte Richtungen zerfallen:

1. Irrelevanz

Das passiert schnell bei den tagesaktuellen Themen. Nicht nur bei dem Interview zu Journalismus, dessen Fragen noch vor dem Fall Netzpolitik.org formuliert wurden, oder der Idee zum Interview zu Politikverdrossenheit, die noch aus der Zeit vor der Flüchtlingskrise stammt, sondern auch bei alltäglichen Sachen, wird das Aufgeschobene schnell schlicht irrelevant. Das ist schade, denn oft sind solche Dinge besonders schön und spannend, hätte man den Moment bloß genutzt.

2. Vergessen

Das ist mir zum Beispiel beim Artikel über den CERN passiert. Ich habe den Zettel mit der Struktur auf meinem Schreibtisch abgelegt und aus den Augen verloren. Die erste Art des Vergessens hat zugeschlagen. Irgendwann habe ich ihn wiedergefunden und dachte, „Oha, die Idee ist ja immer noch ziemlich gut und aktuell!“ Doch dann kam auch noch die zweite Art des Vergessens: Bei der Hälfte der Themen ist mir entfallen, wie ich das genau gemeint habe, und bei der anderen Hälfte, wie das wissenschaftlich nochmal genau war.

Ich erinnere mich ganz düster an den sehr interessanten Ansatz des uns durch die Gegend führenden Wissenschaftlers, dass bei einem Anti-Wasserstoffatom (das man bald aus einem Anti-Elektron und einem Anti-Proton zusammenbauen könnte), die Gravitation evtl. umgekehrt würde. Das könne man noch nicht messen, weil ja bei Anti-Protonen oder Anti-Elektronen die elektrostatische Kraft viel stärker wäre, aber wenn diese These stimmt, könne man womöglich einige kosmische Effekte klären, ohne überall Dunkle Materie suchen zu müssen. Eine faszinierende Idee, die mir damals gezeigt hat, wie spannend Wissenschaft doch sein kann. An viele andere Themen erinnere ich mich jedoch nicht mehr. Den Artikel kann ich vergessen.

3. Frustration

So geht mir das momentan mit Print-Zeitung. Ich habe vor zwei Monaten je ein Probe-Abo bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und der Zeit abgeschlossen. Der Plan war (und ist auch immer noch), die beiden zu vergleichen und zu sehen, welche der beiden ich interessanter, besser finde – wenn mir das überhaupt zusagt. (Die Analyse wäre auch ein sehr schöner Artikel geworden.) Ich bin nur leider zeitlich nicht dazu gekommen, das alles zu lesen. Jetzt habe ich nicht nur einen riesigen Stapel Papier in meinem Regal, der sich wegen seines teilweise tagespolitischen Inhalt und Punkt 1 langsam in Richtung Irrelevanz bewegt, sondern der mich auch immer wieder daran erinnert, dass ich das doch eigentlich lesen müsste. Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich das nicht getan habe; dieser Ärger wird auf die Zeitung selbst projiziert und ich habe irgendwie noch weniger Lust, das zu lesen, was das ganze in einem Teufelskreis immer schlimmer macht.

Häufig geht die Frustration auch einher mit Punkt 2, dem Vergessen. Oder besser, sie kommt, wenn die erste Art des Vergessens endet, und man sich schlagartig erinnert, dass man doch dringend etwas tun muss, oder unbedingt etwas hätte tun müssen. Schock, und die Projektion eines negativen Gefühls auf die Sache selbst erschweren es, das Thema endlich vernünftig anzugehen.

4. Dominoeffekt

Der Dominoeffekt des Aufschiebens ist eine seiner fiesesten Eigenschaften. Man fängt an, sich einzureden, bevor man eine neue Sache macht (oder beginnt), müsste man doch eigentlich erst die machen, die man aufschiebt.

Beispiel: Bevor ich einen Artikel für den Neologismus schreibe, sollte ich lieber die Zeitungen in meinem Regal lesen, die ja schließlich irgendwann irrelevant werden, und dann darüber einen Artikel schreiben, schließlich ist das ja viel spannender, relevanter und fundierter als manch anderes, was ich so schreiben könnte. Aber bevor ich die Zeitungen lese, sollte ich mal lieber den Abwasch machen: Die 10 Messer (Frühstück und Abendbrot), 5 Löffelchen (nur Frühstück) und eine Tasse (ich habe nur eine, die unter die Kaffeemaschine passt – die wird morgens immer kurz ausgespült, weil ich sonst keinen Kaffee kriege) können ja nicht ewig im Spülbecken liegen bleiben!

Wenn man mal darauf achtet, fällt einem auf, dass solche Ketten häufig noch viel länger sind. Sicher ist, dass sich der Effekt von Punkt 3, Frustration, auf jeder Stufe aufsummiert und man letztendlich eher YouTube-Videos guckt, als mal effektiv irgendetwas anzugehen.1

Was tun?

Ein Ausweg ist oft nicht leicht. Wer schon vorher etwas tun kann, erledigt Dinge in dem Moment, in dem sie anfallen – Hausaufgaben zum Beispiel noch an dem Tag, an dem man sie aufbekommt. So eine Strategie funktioniert bei mir sehr gut.

Ansonsten helfen mir Deadlines. Ja, man kriegt ein bisschen Stress und Druck, insbesondere wenn Punkt 2, Vergessen, mit reinspielt. Und gar keine Wirkung haben Deadlines, von denen man weiß, dass sie sehr dehnbar sind.

Dem Vergessen von wichtigen Aufgaben kann man ein bisschen vorbeugen, indem man sie aufschreibt. Nicht in eine Notiz-App, die sieht man ja nur, wenn man will (und sie öffnet), sondern in Papierform, wobei man die Post-Its am besten genau da platziert, wo man häufig hinguckt. Allerdings muss man auch hier aufpassen, dass Frustration und der Dominoeffekt nicht hier zu stark negativ eingreifen. Mir wurde mal der Tipp gegeben, wichtige Dinge, die ich lernen muss, über der Spüle aufzuhängen, weil man ja da beim Abwasch immer draufguckt. Na raten Sie mal, warum ich nicht so häufig spüle!2

Ich zweifle daran, dass es ein Patentrezept gibt, wie man das Aufschieben verhindern kann. Mir helfen die Tipps oben eigentlich ganz gut. Sollten Ihnen, werter Leser, noch andere kreative Ideen einfallen, schieben Sie es nicht auf und schreiben Sie Es in die Kommentare. Ich werde sie weiterreichen – außer, ich schiebe das auf ;-)


  1. Einfach mal das hier schauen: https://www.youtube.com/watch?v=LiVO1EnxPPo. Ich habe keine Ahnung, wie ich da gelandet bin. Ich musste mich zwingen, bei Minute 2 aufzuhören, um diesen Text zu schreiben. ↩︎

  2. Das ist natürlich Ironie. Ich habe den Tipp nie befolgt. Außerdem spüle ich wahrscheinlich häufiger, als ich selbst denke. ↩︎


Titelbild: Rachel Fisher (CC BY-SA 2.0)
Ebenfalls erschienen im Neologismus 15-09

Mehr lesen