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„Die Kirche sagt immer Ja zum Menschen und seiner Würde“

Interview mit Prof. Dr. Josef Spindelböck

Im vergangenen Monat wurde im plakativ immer als „erzkatholisch“ bezeichneten Irland durch ein Referendum die Ehe unabhängig von Geschlecht in der Verfassung verankert. Als dieser Artikel eigentlich schon fertig war, hat in den Vereinigten Staaten das Supreme Court ebenfalls die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Natürlich wurde in diesem Zuge auch in Deutschland wieder über die Öffnung der Ehe diskutiert. Beim Schauen von Nachrichten ist mir allerdings aufgefallen, dass eine in der Frage durchaus wichtige Institution sehr wenig an der öffentlichen Debatte in den Medien beteiligt war: Die katholische Kirche. Einzig ein doch reichlich unspezifischer und vor allem wenig begründeter Kommentar zur „Niederlage für die Menschheit“ machte nach dem Referendum in Irland seine Runde durch einige Zeitungen. Auch bei anderen Themen, wie der Debatte um Social Freezing im Herbst letzten Jahres oder den gerade diskutierten Gesetzentwürfen zum Thema „Sterbehilfe“ war und ist die Kirche mit einer begründeten Meinung in den Medien leider kaum oder gar nicht vertreten.

Ziel dieses Artikels ist es, das zumindest in Ansätzen zu ändern.

Dr. Josef Spindelböck ist Professor für Moraltheologie und Dozent für Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten und Mitglied der Niederösterreichischen Ethikkommission.

Das folgende Interview mit ihm versucht, die oben genannten Themen zumindest anzureißen, denn natürlich ließe sich stundenlang über jeden der Teilaspekte diskutieren. In einem ersten Teil hat Herr Spindelböck die Hauptfragen per Mail erhalten und schriftlich eine begründete Antwort dargelegt. In einem zweiten Teil habe ich telefonisch ein paar Rückfragen, die sich aus seinen Antworten ergeben haben, stellen können.

Ich möchte Herrn Spindelböck auch an dieser Stelle für das Interview, die guten Antworten und das offene Gespräch danken. Letztendlich bleibt der ganze Themenkomplex einer, bei dem auf grundsätzlichen Einstellungen über logische Schlussfolgerungen Konsequenzen aufgebaut werden. Es ist meiner Meinung nach wichtig, diese drei Denkschritte für unterschiedliche Sichtweisen zu kennen, unabhängig davon, ob man ihnen vollends zustimmt.

Teil 1: Schriftliche Fragen

Wie sieht eine katholische Sicht auf das Thema Ehe aus und worin liegt sie begründet?

Das Eheverständnis der katholischen Kirche hat eine zweifache Grundlage: Erstens ist die Ehe als Bund der Liebe und des Lebens eine Wirklichkeit, welche der Schöpfungsordnung angehört und in diesem Fall die „Natur“ oder das Wesen des Menschen betrifft. Zweitens ist die Ehe zwischen Getauften ein Sakrament und gehört der Ordnung des Heiles an, das uns Jesus Christus geschenkt hat.

Zur Ehe aufgrund der Schöpfungsordnung: Zum Wesen oder zur Natur des Menschen gehört es, dass er bzw. sie als Person in der Ausprägung zweier Geschlechter lebt und sich entfaltet. Frau und Mann ergänzen sich; sie stehen in einem Spannungsfeld zueinander und ziehen sich zugleich an. Von daher ist die Ehe eine elementare Form menschlicher Gemeinschaft, die unter dem besonderen Schutz und Segen Gottes des Schöpfers steht. Die Ehe als treuer und dauernder Bund des Lebens und der Liebe zwischen Mann und Frau erweitert sich durch die bereitwillige Offenheit der Gatten für Kinder zu einer Familie. Insofern Ehe und Familie wesentlich zum Gemeinwohl beitragen, stehen sie unter dem Schutz des staatlichen Rechts. Denn die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. Hier geschieht die Weitergabe des Lebens; hier werden die Werte für das menschliche Zusammenleben grundgelegt in der Erziehung der Kinder. Die Ehe gibt es in dieser schöpfungsgemäßen und damit auch naturrechtlichen Sicht nur als Verbindung jeweils eines einzigen Mannes mit einer einzigen Frau. Menschen mit homosexuellen Neigungen kommt dieselbe Würde als Personen zu, und sie sollen geachtet werden. Sie können jedoch keine Ehe schließen.

Zur Ehe als Sakrament in der Ordnung des Heils: Die christliche Ehe ist ein Abbild und eine Teilhabe am Bund der Liebe, den Gott mit den Menschen in Jesus Christus geschlossen hat. Die Liebe zwischen Mann und Frau wird durch das Sakrament der Ehe zu einer Darstellung und Vergegenwärtigung der göttlichen Liebe. Die sakramentale Gnade heiligt die Gatten und hilft ihnen in der Erfüllung ihrer ehelichen Aufgaben, sodass sie das einmal gegebene Ja-Wort in Treue durchhalten können, bis der Tod sie scheidet. Aus kirchlicher Sicht kann die gültig geschlossene und sexuell vollzogene sakramentale Ehe durch keine menschliche Macht mehr aufgelöst werden. Dies gilt sogar für den Fall der Untreue eines oder beider Partner. Das weiterhin bestehende Eheband ist ein wirkmächtiges Zeichen dafür, dass Gott seine Liebe zu uns Menschen nicht zurücknimmt, sondern uns auch nach schwerer Schuld einen Neuanfang in Vergebung und Versöhnung ermöglicht.

Ein anderes Thema, das vor kurzem aktuell war und einen zentralen Bereich christlicher Werte betrifft, ist das sog. Social Freezing, das Einfrieren von weiblichen Eizellen zur späteren Erfüllung des Kinderwunsches. Warum wird auch dies von der Kirche abgelehnt?

Die Kirche sagt immer Ja zum Menschen und seiner Würde sowie auch zur ehelichen Liebe und Gemeinschaft, aus der Kinder entspringen sollen. Jedes Kind hat als solches ein Recht darauf, als Frucht eines Aktes ehelicher Liebe empfangen und geboren zu werden. Die sog. künstliche Befruchtung (IVF und verwandte Techniken) löst diesen Zusammenhang auf und liefert den Menschen gleich zu Beginn seiner Existenz der wissenschaftlichen Machbarkeit und der Manipulation aus. Insofern die Kryo-Konservierung von befruchteten Eizellen (also Embryonen im Frühstadium) und analog auch das Einfrieren von nicht befruchteten Eizellen im Dienste dieser Technik stehen, wird es von der Kirche als Weg abgelehnt, der dem Menschen in seiner Würde eben nicht entspricht. Doch selbstverständlich muss jedes Kind, wie immer es gezeugt wird und auch wenn es im Labor seinen Anfang nimmt, eben von diesem Anfang an in seiner Menschenwürde respektiert werden. Die Vernichtung sogenannter überzähliger Embryonen und später auch die Abtreibung sind daher ein tödlicher Angriff auf das menschliche Leben, welcher die Grundlagen des Rechtsstaates in Frage stellt, da dieser ja das Leben der Unschuldigen und Wehrlosen besonders schützen soll.

Neben diesen beiden Themen hat man auch bei den „klassischen Dauerbrennerfragen“ wie Abtreibung und Sterbehilfe das Gefühl, dass die konservative, kirchliche Antwort auf solch bedeutende Lebensfragen immer unwichtiger wird. Welche Rolle spielen christliche oder katholische Werte in unserer Gesellschaft noch, und welche Rolle sollten sie spielen?

Insofern sich die Kirche zum Anwalt der Würde eines jeden Menschen macht – ob geboren oder ungeboren, ob gesund oder krank, ob voll einsatzfähig oder behindert, ob katholisch oder nicht –, erfüllt sie eine prophetische Aufgabe in der Gesellschaft. Sie wird damit umso mehr durchdringen, je uneigennütziger dieses ihr Zeugnis erfolgt. Unsere europäische Kultur verdankt sich wesentlich ihren jüdisch-christlichen Wurzeln. Heinrich Böll hat einmal gesagt, er würde die schlechteste christliche Gesellschaft immer noch der besten nichtchristlichen vorziehen: denn nur im Christentum gibt es jenen bedingungslosen Einsatz für den Nächsten, wie er sich in der Hingabe an Kranken und Schwache bis zuletzt zeigt. Je mehr sich die Christen um eine persönliche Erneuerung aus dem Glauben bemühen, desto eher werden sie als Leuchttürme in der Gesellschaft wahrgenommen, unbeschadet dessen, dass die Zahl der Getauften oder der formellen Mitglieder der Kirche hierzulande wahrscheinlich noch weiter sinken wird.

Teil 2: Telefonisch Nachgefragt

Wenn sich der gesellschaftliche Wert der Ehe aus ihrem Ziel, der Familie, ergibt, warum wird dann staatlich nicht diese geschützt?

Der Gesetzgeber kann die Situation nur von außen betrachten und geht daher davon aus, dass sich die Ehe normalerweise auf die Familie hin erweitert. Dass das unter Umständen nicht passiert, kann vielfältige Gründe haben, an denen die Ehepartner oft auch nichts ändern können, wie beispielsweise bei Unfruchtbarkeit. Die Ehe bleibt aber dennoch schützenswert.

Jetzt ist es allerdings so, dass in der modernen Gesellschaft sich Ehepartner durchaus bewusst dazu entscheiden, keine Kinder zu bekommen, obwohl sie könnten.

Auch hier hat der Staat nicht die Aufgabe, im Einzelfall über die Motive zu urteilen; er kann nur das offen Sichtbare beurteilen und davon ausgehen, dass die Ehe ausgerichtet ist auf Kinder. Die Kirche hingegen kann weitergehen, auch die Motive bewerten und sagt ganz klar, dass die Ehe als Ziel die Familie haben sollte.

Wie steht die katholische Kirche zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Lebenspartner? Da sehe ich in Ihren bisherigen Antworten kein Problem.

Die Kirche hat den Standpunkt, dass jedes Kind ein Recht auf Vater und Mutter hat, aus Gründen der gegenseitigen Ergänzung der Geschlechter und psychologischen Gesichtspunkten wie der kindlichen Prägung. Von daher ist bei einer Adoption darauf zu achten, dass eben diese Idealbedingungen gegeben sind. Es ist natürlich ein Unterschied zu einer Situation, in der ein Kind faktisch ohne einen der beiden Elternteile aufwächst, wo es zum Beispiel von einer alleinerziehenden Mutter betreut wird. Das ist im Einzelfall natürlich auch nicht optimal, aber wenn man von vornherein etwas Gutes für ein Kind will, soll man darauf achten, dass es bei der Adoption den Idealzustand aus Vater und Mutter hat.

Ich danke Ihnen für das Gespräch!


Titelbild: William Murphy (CC BY-SA 2.0)
Ebenfalls erschienen im Neologismus 15-06

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