America the Beautiful, America the Great
Vierter und letzter Teil der East Side StoryEin kalter Wind weht durch die Stadt und die New Yorker schlagen die Krägen ihrer Mäntel nach oben, als ich an meinem Kaffee „to go“ nippe. Donald Trump ist der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Liebe Leserinnen, liebe Leser. Dieser letzte Teil meiner Serie aus dem Nordosten der USA soll in erster Linie ein Reisebericht sein. Dennoch wurde ich an vielen Stellen der Strecke unvermeidlich von den Präsidentschaftswahlen verfolgt, die drei Tage vor meiner Reise zurück ins heimatliche Deutschland anstanden. Folgen Sie mir also ein letztes Mal auf meiner Reise durch the home of the brave and the land of the free.
Zwei Dinge noch, bevor es losgeht:
Für die allgemeinen Informationen zu den Städten kann ich nur auf den Artikel von Jonas Mügge im Neologismus vom Juli verweisen.
Die hier wiedergegebenen Dialoge mit anderen Menschen sind nach Gedächtnisprotokoll niedergeschrieben und teilweise der Einfachheit halber übersetzt.
Washington, D.C.
Der erste Halt auf meiner Rundreise: Washington D.C., die Bundeshauptstadt der Vereinigten Staaten, benannt nach dem großen Staatsvater, George Washington. Und ich hätte es nicht erwartet, aber ich habe nochmal einige Grundlagen über amerikanische Geschichte lernen können, zwischen all den Monumenten, Archiven, Museen und historischen Gebäuden. Das ist nämlich das Tolle an Washington: Alles ist so furchtbar nah beieinander und kann in der Regel kostenlos und ohne Voranmeldung besucht werden – und in den vier Tagen habe ich viel gesehen. Vom Nationalarchiv, in dem man Originale der Unabhängigkeitserklärung, der Verfassung der Vereinigten Staaten und dem Bill of Rights betrachten kann (und lernt, wie sie zusammenhängen und warum es sie jeweils gibt); durch das Kapitol, in dem das House of Representatives und der Senate tagen, durch das man sich führen lassen kann, und vor dem schon Ende Oktober die Bühne für den Inauguration Day, den Tag der Amtseinführung des neuen, damals noch nicht bekannten Präsidenten; über die Library of Congress, deren beeindruckenden Lesesaal ich bislang nur aus Templer-Filmen mit Nicholas Cage kannte und den man leider nur durch eine Glasscheibe betrachten durfte; zum Weißen Haus, das sich im Gegensatz zu den anderen Attraktionen schon fast versteckt in seinem Park und hinter Bäumen.
Vorbei an all den Memorials und Monuments: Washington Monument, Lincoln Memorial, Thomas Jefferson Memorial, Martin Luther King, Jr. Memorial, Franklin Delano Roosevelt Memorial1, World War II Memorial, Vietnam Veteran und Korean War Veterans Memorial und viele mehr. Auf der anderen Seite des Potomac Rivers, im Arlington National Cemetary, gibt es sogar diverse „Memorial Trees“ – ganz klar, in D.C. gibt es kein normales ; alles ist mindestens ein „<Ding> Memorial“ oder ein „Memorial <Ding>“.
Das Schöne ist: Jedes Memorial ist auf seine ganz eigene Art eindrucksvoll und verdeutlicht einen wichtigen Aspekt der amerikanischen Geschichte, und irgendwo ist es ein bisschen traurig, dass wir das in Deutschland nicht haben: einen Ort, wo man einmal an der (ausgewählten) Landesgeschichte vorbeigehen kann. Und das sogar Anfang November noch zu sehr angenehmen Temperaturen, bei denen man sich auch gerne mal am Abend einfach mit Keksen und Buch an eine der Sehenswürdigkeiten setzt und den Sonnenuntergang genießt.
Ein schöner Nebenaspekt des Reisens hier in den USA ist, dass vielerorts – und gerade in einer Stadt so reich an Denkmälern wie Washington fast überall – kostenlose Toiletten und Wasserspender zur Verfügung stehen. Trotzdem stehen an vielen Orten kleine Verkaufsstände, die neben Hot Dogs auch kleine Wasserflaschen für bis zu 3$ verkaufen – etwas, was mir furchtbar absurd vorkommt und zeigt, dass man auch furchtbar schlechte Geschäftsideen irgendwie verkaufen kann. Ich habe einen der Verkäufer gefragt, warum die Menschen quasi überteuertes Wasser bei ihm kauften, wo es doch überall Alternativen gebe. Er hat mit den Schultern gezuckt: „I don’t even know – but I’m selling like 15 cases [á ca. 30 bottles] per day, so…“ Ich habe gelacht und bin weitergegangen.
Und dann gibt es in D.C. ja noch die vielen Museen. Die meisten stehen entlang der National Mall, dem Park, der das Kapitol über das Washington Monument mit dem Weißen Haus und dem Lincoln Memorial verbindet, werden von der Smithsonian Institution betrieben und sind kostenlos. Berühmte Vertreter, die ich hier besucht habe, sind das Smithsonian National Air and Space Museum und das Smithsonian National Museum of Natural History, die allerdings beide ein bisschen altbacken wirkten. Dafür waren sie um diese Jahreszeit relativ leer – wobei ich nicht mit den vielen Grundschülern gerechnet hatte, die unter der Woche mit den markanten gelben Bussen in Massen herangefahren werden.
Wesentlich ruhiger und eindrucksvoller war es da in der National Gallery of Art, die in zwei Gebäuden klassische und moderne Kunst ausstellt. Ziemlich eindrucksvoll, weil schlicht ziemlich weitläufig und unglaublich erhaben, ohne abgehoben zu wirken. In jedem zweiten Raum des klassischen Teils standen Malerpulte, die man verwenden konnte, um die alten Meister zu kopieren – was durchaus vorgekommen ist. Im Keller war zu dem Zeitpunkt eine Ausstellung von Skizzen, die große Künstler als Vorarbeit zu den eigentlichen Gemälden angefertigt haben; und diese Ausstellung war offensichtlich der Ort, an dem nachmittags alle Kunststudenten von Washington abhängen, eigene Zeichnungen anfertigen und über Skizzen, fertige Gemälde und deren Zusammenhang diskutieren. Es hat einfach Freude gemacht, sich in die unterschiedlichsten Räume zu setzen und kreative Inspiration mitzuerleben.
Weite Teile der Reise war ich in einem Hostel untergebracht, und es gilt irgendwie die Grundregel, dass du überall Deutsche triffst, vornehmlich Abiturienten aus Hamburg und Bremen. In Washington saß ich nach dem Abendessen noch im Gemeinschaftsraum und habe mich noch mit zwei Mädchen unterhalten, deren Abendessen wesentlich reichhaltiger gewesen ist als meine Spaghetti mit Fertigtomatensauce, als ein Mann reinkommt und fragt: „Hey, who wants to see the Monuments at night?“ Er habe das schon mal gemacht, es sei ziemlich episch. „For sure!“, sage ich, und wir konnten auch noch meine Gesprächspartnerinnen überzeugen. Keine fünf Meter aus dem Hostel fiel uns auf: Wir sind vier Deutsche. Er war kurz vor der mündlichen Verteidigung seiner Doktorarbeit in Heidelberg, sie sind Abiturientinnen aus Bremen. Ein sehr lustiger Abend – kind of like you know… awesome!
Niagara Falls
Um zu den Niagara-Fällen und den anderen Orten meiner Reise zu gelangen, habe ich mir ein Auto gemietet – und katastrophal die Größe dieses Landes unterschätzt. Nachdem ich noch zwei andere Deutsche zum auf dem Weg liegenden Flughafen gebracht habe (nächster Halt Miami), ging es fast gerade nach Norden, und das acht lange Stunden. Wobei auch die irgendwie spannend waren. Weil es nur 20 Minuten länger gedauert hat, habe ich mein Navi angewiesen, die Mautstraße zu umgehen, und bin auf parallel verlaufenden Highways wesentlich näher an den Menschen des ländlichen Pennsylvania vorbeigefahren. Und ich habe es einfach nicht erwartet, nach der Zeit in einer so weltoffenen Stadt wie Washington und auch nach den drei Monaten in der Nähe von Philadelphia; aber von Clinton fast keine Spur, Trump überall. Meilenweit Trump-Aufsteller am Straßenrand. Ich bin an einer Garage vorbeigefahren, die der Besitzer offenbar fertig mit dem Schriftzug „TRUMP“ in drei Meter hohen Lettern bemalt hatte. Das war eine ganz andere Welt, ein ganz anderes Gefühl bei der Reise. Irgendwo hatte ich ein vorurteilsbehaftetes mulmiges Gefühl; aber alle Menschen, die ich bei meinen Pausen getroffen habe, waren sehr nett und hilfsbereit. Trotzdem war es ein gutes Gefühl, nach stundenlang der irgendwie immer gleichen Weite in meinem Hostel auf der amerikanischen Seite der Fälle angekommen zu sein. Nach dem Abendessen bin ich auch ziemlich fertig ins Bett gefallen und habe mich nur noch kurz mit dem obligatorischen deutschen Abiturienten aus Hamburg unterhalten. Seine Geschichte war die gleiche wie die der beiden Mädchen in Washington: Keine Ahnung, was man studieren könnte, also erstmal auf unbestimmte Zeit Weltreise.
Der nächste Tag stand ganz im Zeichen des Indian Summers, dem großartigen Herbst im Nordosten der USA, für den ich offensichtlich den perfekten Zeitpunkt abgepasst habe. Ich war an dem Tag mit einem Philippinen, der in Saudi Arabien arbeitet und den ich im Hostel getroffen habe, unterwegs, und für ihn waren die unglaublichen Farben der Natur nochmal um einiges eindrucksvoller als für mich. Wir sind zuerst zu einem Wasserwerk ein bisschen flussabwärts gefahren, was nicht nur einen tollen Ausblick über den Canyon, sondern auch eine ziemlich coole, kostenlose, interaktive Ausstellung über das Wasserwerk und die Fälle hatte. Interaktive Experimente, mit denen man Elektrizität erkunden konnte, Computersimulationen und Planspiele zu den Fällen und zu Stromversorgung, sogar ein kleines 4D-Kino mit einem Film für die Grundschüler, die dort Zielgruppe sind. Fortschritt und Achievements wurden auf einem RFID-Anhänger gespeichert… Ich habe mich gefreut wie ein kleines Kind – mein Mitreisender auch.
Über die Mittagszeit haben wir einen Hike gemacht, der uns hinunter in den Canyon bis an den Niagara Whirlpool, einen Knick im Niagara River, geführt hat. Auch hier einfach richtig gutes Wetter, unglaublich schöne Farben – ich glaube, das kann man nur sehr schwer beschreiben. Und dann sind wir natürlich noch bis zu den Fällen selbst gefahren. Man muss sagen, von der kanadischen Seite hätte man einen wesentlich besseren Blick gehabt. Jedoch hätte der Philippine einen absurden Geldbetrag für ein kanadisches Visum zahlen müssen, und mir wurde von meiner Ausbildungsabteilung einfach davon abgeraten, um Risiken bei der Wiedereinreise gar nicht erst aufkommen zu lassen. Aber es gibt ja eine Bootstour, die bis an die Fälle heranführt, die eindrucksvoll und nass war, aber dank der GoPro meines Mitreisenden gut dokumentiert ist. Ich glaube, das war mit der beste Tag, den ich auf meiner Reise hatte, und vor allem auch die beste Zeit, die Niagara-Fälle zu besuchen – auch wenn ich nochmal im Sommer vorbeikommen muss und dann auch auf die kanadische Seite wechseln sollte.
Beim Auschecken am nächsten Morgen habe ich mich noch kurz mit dem Inhaber des Hostels unterhalten. Mich hat interessiert, wie viele Reisende er um diese Jahreszeit noch beherbergt. Ich sei der letzte, der auscheckt, am Abend erwarte er nur noch einen Gast. Und irgendwann würde er sich Tage freinehmen müssen. Aber das sei das Geschäft: „Im Sommer wird Geld verdient, im Winter wird es dazu ausgegeben, das Haus zu renovieren.“ Das sei sein 10-Jahres-Plan; und im elften Jahr, wenn er fertig ist, würde er Urlaub auf den Bahamas machen. Momentan sei er bei Jahr drei. Ich schaue mich um und muss an die frisch gestrichen wirkenden Wände, an die neuen Betten, das moderne Bad denken. Er sei ja schon sehr weit gekommen, sage ich ihm anerkennend.
Er schaut mich traurig an. „Wusstest du, dass dieses Hostel auf TripAdvisor die am besten bewertete Unterkunft auf der amerikanischen Seite ist?“, fragt er rhetorisch. „Einerseits macht mich das natürlich furchtbar stolz und zeigt mir, dass ich irgendwas richtig mache – ich nehme das als großes Kompliment. Aber andererseits sehe ich immer die großen Hotels mit vier oder fünf Sternen und ihren angeschlossenen Kasinos weiter im Zentrum und frage mich, wie ich die übertrumpfen konnte. Da läuft irgendwas schief.“ Er holt unter der Theke ein paar alte Fotos in Klarsichthüllen heraus. „Das hier ist der Blick auf die kanadische Seite der Fälle, vor 25 Jahren, als ich mit der High School fertig war und zum College weggezogen bin.“ Man sieht viel Wald und außer dem markanten Aussichtsturm nichts der heutigen Unterhaltungsmetropole mit Wasserfall-Blick. „Damals hatten sie da drüben gerade mal 40.000 Einwohner, und wir hier 88.000. Heute ist das umgekehrt. Ich frage mich, wie das in den nächsten 25 Jahren hier aussieht…“
In diesem Moment ist mir klar geworden, warum Menschen für Trump stimmen, und ich ihnen das nicht wirklich verübeln kann. Vielleicht nicht in den Städten an der Ostküste, vielleicht nicht an der wohlhabenden Westküste, aber auf dem Land fühlen die Leute, dass irgendwo etwas nicht stimmt, und dass Amerika vielleicht nicht so great ist, wie man mal dachte. Ohne es sicher zu wissen, glaube ich nicht, dass der Herbergsvater für Donald Trump gestimmt hat. Aber er hat mir für meine Fahrt nach Boston einiges zu denken gegeben.
Boston
Und es war wieder eine lange Fahrt! Dieses Mal bin ich dann doch Mautstraße gefahren, die Fahrt um weitere dreieinhalb auf insgesamt fast 12 Stunden zu verlängern war mir dann doch zu viel. Ich habe auch die am Rand liegenden und im Sommer sicherlich einen Besuch werten White Mountains ausgelassen, weil ich im November dann doch unpassierbaren Schnee befürchtet habe, der den Bergen den Namen gibt.
Boston ist eine verkehrstechnisch grausame Stadt. Erbaut auf einer Halbinsel, umgeben von Flüssen, denen man versucht hat, noch das letzte bisschen Land abzugewinnen, ist mit der zunehmenden Motorisierung die Innenstadt sehr voll geworden – und die 6-spurige Straße, die man vor 50, 60 Jahren meinte, mitten durch die Stadt legen zu müssen, hat da nicht wirklich geholfen. Doch wenn man sein Auto mal abgestellt hat (teuer) ist die Stadt faszinierend, weil sich hier historische Stätten der Kolonialzeit unter Wolkenkratzern der Neuzeit wegducken, was eine interessante Mischung ergibt. Großes Problem der Stadt ist meiner Meinung nach ihre doch irgendwie europäische Struktur. In Washington und später auch New York sind die Straßen schön rechtwinklig, sauber durchnummeriert und man kann sich gar nicht verlaufen. In Boston bin ich zweimal voller Überzeugung 180 Grad in die falsche Richtung gelaufen, und das, obwohl an jeder zweiten Ecke ein Stadtplan hängt.
Dafür hat sich die Tourismus-Behörde aber sehr viel Mühe gegeben und mit dem Freedom Trail einen durch eine rote Linie auf dem Boden gekennzeichneten Pfad durch die Stadt gelegt, der an allen Sehenswürdigkeiten aus Kolonialzeit und Unabhängigkeitsbewegung vorbeiführt, die mein Reiseführer praktischerweise auch in genau der Reihenfolge erklärt. Ein paar Sachen muss man dann doch selbst erkunden: Zum Beispiel die oft photographierte Acorn Street mit ihrem unglaublich britischen Charme, oder den Bostoner Hafen, in den man heutzutage übrigens auch aus Protest keinen Tee mehr werfen sollte – Gesetze gegen Littering sehen Strafen ab 20$ (zivilrechtlich) bzw. 5500$ (strafrechtlich) vor.
Das grausamste an Boston war mein furchtbarer Ohrwurm des Liedes Massachusetts der norwegischen Gruppe Ylvis.2 Aus diesem Lied habe ich leider 50% meines Wissens über Massachusetts und seine Hauptstadt Boston, und weil mein Weg vom Hostel zur Innenstadt immer an der bekannten Boston Public Library vorbeiführte, hatte ich ständig das Bedürfnis, laut loszusingen: „Read amazing books for free // at the Boston Library // or try the local Brie…“3
Auf der anderen Seite des Charles River befindet sich Cambridge, das zwar nicht zu verwechseln ist mit dem Cambridge im Vereinigten Königreich mit seiner berühmten University of Cambridge, aber dennoch selbst zwei sehr bekannte Universitäten hat: Harvard und das MIT, die auch eine Besichtigung wert sind.
Provincetown
Zur frühen Mittagszeit ging es dann aber für mich schon weiter Richtung Provincetown an der Spitze des Cape Cod, wo die Pilgerväter 1620 angelegt haben und das mein Reiseführer als das Sylt der USA bezeichnet.
Doch bevor ich ankomme, leuchtet an meinem Mietwagen die Reifendruck-Warnlampe auf. „Na toll,“ denke ich mir, „Na das kennst du ja.“ Hier muss ich kurz ein bisschen ausholen. In Deutschland besitze ich ein Auto, das bei meiner ersten Fahrt von Karlsruhe nach Andernach Probleme mit dem Öldruck hatte, die sich nicht durch Nachfüllen von Öl beheben ließen. Auto also in die Werkstatt, über den ADAC vom Hersteller meines Autos ein Ersatzwagen eines anderen Herstellers. Und bei eben diesem Ersatzwagen ist dann auf der Rückfahrt nach Karlsruhe auch die Reifendruck-Warnlampe angegangen, ein hörbares Zischen aus einem der Reifen. Mit dem Auto wollte ich also nicht mehr weiterfahren, aber es hat sich auch weder der ADAC, noch der Hersteller meines Autos, noch der Hersteller des Ersatzwagens dafür verantwortlich gefühlt, den Ersatzwagen abzuholen, um das Problem zu beheben – alle haben sich gegenseitig die Verantwortung zugeschoben.
Also bin ich direkt zur nächsten Hertz-Station gefahren, um nachzufragen, was ich denn jetzt tun solle. Die Dame am Empfang war sehr hilfsbereit und hat angeboten, die Reifen aufzupumpen, sollte die Lampe dann wieder angehen, solle ich nochmal vorbeikommen und einen Ersatzwagen abholen. Soweit, so gut. Leider hat sie es nicht hinbekommen, die Reifen aufzupumpen, und hat dann nach einer Viertelstunde einfach direkt versucht, mir einen Ersatzwagen herauszugeben. Leider, so stellte sich nach einiger Recherche heraus, gab es da ein Problem: Ich hatte keinen ausgedruckten Mietvertrag, laut System war mein Wagen seit einem Monat nicht mehr vermietet worden, der Vertrag im System sei irgendwann gecancelt worden. „Technisch gesehen haben Sie dieses Auto nie gemietet.“ Und dann sitzt man da. Die Leute, die Wagen in Washington herausgegeben haben, schon im Urlaub, der Manager der Hertz-Dame (noch in ihrer Ausbildung) schwer zu erreichen. Letztendlich hat aber doch alles irgendwie geklappt. Ich bin mit einem handgeschriebenen Vertrag auf Papier und einem neuen Auto weitergefahren, und später in New York hat sogar die Rückgabe geklappt und alle Daten waren ordnungsgemäß im System, sogar meine Anzahlung konnte verrechnet werden. Es war eine Stunde lang ein recht unangenehmes Gefühl, aber letztendlich hat sich meine Erfahrung wieder bestätigt: Letztendlich bleibt man nie irgendwo ohne Hilfe liegen, irgendwie löst sich alles auf. Und so konnte ich dann beruhigt weiterfahren nach Cape Cod.
Dort gibt es ein schönes Naturschutzgebiet mit Wanderwegen entlang am Strand, der um diese Jahreszeit ein unerwartetes Gefühl von Nordsee vermittelt hat. Auf den Wanderwegen ist um diese Jahreszeit wahrscheinlich wegen des wechselhaften Wetters sehr wenig los. Auf einem der Wege habe ich zwei nette Rentner getroffen, die eine Ferienwohnung auf der Halbinsel haben. Er hat früher für IBM Datenbanklizenzen verkauft, und so hatten wir gleich ein erstes Gesprächsthema. Aber wie von alleine führte auch dieses Gespräch in Richtung Präsidentschaftswahlen, in unserem Fall über seine Erzählung von dem ersten Computer, der in den 60ern die Gewinnchancen der Kandidaten ausrechnen konnte. Da wären damals alle sehr beeindruckt gewesen, auch wenn das noch weit hinter aller Technologie sei, die wir heute haben. „This is like horse race“ habe man in Anspielung auf Pferdewetten und deren Gewinnwahrscheinlichkeiten damals gesagt, und irgendwie spricht man ja heute auch noch von „horse race journalism“, wenn es nicht mehr um Inhalte geht, sondern nur noch darum, schnellstmöglich zu berichten, wer wie viele Prozente hat und was er bzw. sie tun muss, um zu gewinnen (nicht, um gute Politik zu machen!). Ich habe erzählt, dass Deutschland da ja etwas voreingenommen sei in Richtung Clinton und Trump für ziemlich dumm hält. Nein, „stupid“ sei Trump nicht. Trotzdem: „Clinton will win“, und das sei gut so. Auf die Frage, was man denn von Bernie Sanders gehalten habe, wurde gelacht. Nein, der sei Unsinn gewesen, von Anfang an. „Klar, junge Menschen wählen jeden, der kostenlose Unis verspricht.“ Aber das wird hier offensichtlich nicht wie in Deutschland als etwas selbstverständlich Gutes angesehen.
Provincetown selbst muss im Sommer ein riesen Rummel gewesen sein. Off season, also Oktober bis einschließlich April, ist das nicht mehr so. Die Hälfte der Geschäfte bietet ihre Shirts, Pullover, Muscheln, Sonnenbrillen, Strandkörbe und was auch immer mit 50% Rabatt an, die andere Hälfte hat geschlossen. Selbst am Parkautomat am Rathaus hängt ein Schild „Wird erst wieder im Mai angeschaltet“. Die Stadt ist verlassen und vermittelt ein ziemlich melancholisches Gefühl. Der Himmel ist grau; der Hafen, im Sommer noch voller Schiffe für Bootsfahrten und Whale Watching, leer. Böiger Wind an der Küste, ein faszinierendes Erlebnis, aber auch hierhin sollte man im Sommer nochmal zurückkehren.
New York City
Letzter Halt meiner Reise: New York City. Ich muss sagen: Mit dem Auto in die Stadt reinzufahren war unangenehm. Immerhin war der an dem Tag stattfindende New York Marathon abends schon vorbei, dennoch musste ich permanent anders fahren, als es mein Navigationssystem vorschlug, weil Polizisten überall Straßen gesperrt haben. Aber ohne Auto ist dann doch alles recht entspannt, ob man jetzt zu Fuß geht oder mit der Subway fährt. Allerdings gibt es in New York viel zu viel zu sehen, und so waren die vier Tage, die ich in der Stadt verbracht habe, dann doch schon wieder fast gehetzt.
Freiheitsstatue, Ellis Island, Times Square, Brooklyn Bridge, Wall Street, ein Broadway-Musical,4 der Times Square bei Nacht, Ground Zero, Greenwich und SoHo, High Lane,5 Grand Central Station, United Nations, verschiedenste Hochhäuser, die Bar aus How I Met Your Mother, Central Park, das Museum of Modern Art, das Flat Iron Building – viel zu viel, ein räumlich wie zeitlich dicht gepackter Strom von Ereignissen. Rückblickend muss ich echt sagen, dass es ganz geschickt war, Städte und eher ländliche Orte abwechselnd zu besuchen – nach zwei Wochen nur Städtereise wäre man, glaube ich, ziemlich fertig.
Eins habe ich in meiner langen Liste der Sehenswürdigkeiten weggelassen: Den Trump Tower. Und der war etwas Besonderes, denn als ich in New York war, war auch der Tag der Wahl. Schon in Boston, wo man im Zuge des Early Voting schon vor dem eigentlichen Wahltag seine Stimmen abgeben kann, habe ich sehr lange Schlangen an den Polling Places, den Wahllokalen gesehen. In New York war das am Tag der Wahl selbst etwas entspannter – zumindest habe ich nur eine verhältnismäßig kurze Schlange gesehen. Aber das mediale Interesse war deutlich spürbar. Entlang der Fifth Avenue, einer Parallelstraße zum Trump Tower, reihte sich Übertragungswagen an Übertragungswagen. Ein Reporter erklärt mir: „He will be here tonight.“ Vor dem Trump Tower selbst: Lastwagen, gefüllt mit Bauschutt – ich dachte schon an böse Machenschaften wie in Die Hard 3, bis mir ein New Yorker erklärt: „Die dienen als Straßensperre und Schutz gegen Krawalle. This is New York, man.“ Außerdem: Demonstranten. Für Trump, gegen Trump, mit Schildern, ohne Schilder, alles. Ein kleiner Fernsehsender interviewt einen Trump-Anhänger. Ich frage im Vorbeigehen: „Glaubst du, Trump gewinnt das heute Abend?“ Er antwortet: „Klar doch!“ In dem Moment fand ich das noch lustig, weil ich es selbst nicht für möglich gehalten habe; die New York Times hat Hillary Clintons Gewinnwahrscheinlichkeit noch auf über 80% prognostiziert. Gegen Abend hin musste ich mir also einen Ort aussuchen, an dem ich die Wahl gucken möchte. Natürlich wäre das in meinem Hostel möglich gewesen, aber das wäre ja auch langweilig. Am Times Square hatte ABC-News ein kleines Studio. Ein paar Querstraßen weiter Fox-News, bei denen etwas weniger los war. Ich habe kurz überlegt, ob ich nicht dort bleiben möchte, weil sie lustige Trump-Anhänger hatten, dachte mir dann aber, dass die Stimmung am Ende bei einem eher konservativen Sender eher schlecht sein würde, wenn Clinton gewinnt – welch Ironie. Also bin ich weiter zum meiner Meinung nach coolsten Wahlstudio der Stadt, NBC-News beim Rockefeller Center.
Dort war nicht nur der ganze Wolkenkratzer in den Farben der amerikanischen Flagge beleuchtet, nein, sie hatten auch dort, wo inzwischen wahrscheinlich der berühmte Weihnachtsbaum steht, eine große Fläche aufgebaut, die ein bisschen nach Eislauffläche aussah. Auf den Leinwänden konnte man dann aber doch recht schnell ihre wahre Funktion erkennen: Dort wurde digital eine Karte der USA eingeblendet, und wann immer ein Staat sichere Ergebnisse hatte, wurde mit Kamera-Kränen von der Karte zum Hochhaus geschwenkt, wo riesig groß die Ergebnisse eingeblendet wurden – ziemlich episch. Ich habe also meine Kekse ausgepackt und gedacht, „Na das wird ja jetzt ein spannender Abend“. Und in der Tat, es wurde spannend. Und irgendwie halt auch traurig. NBC-News ist ein eher links-liberaler Fernsehsender, und so war eben auch das anwesende Publikum eher von Demokraten als Republikanern geprägt; mehr noch, als das in dem ohnehin schon demokratischen New York sowieso der Fall ist. Und so war die Stimmung eher doch ungut, als Trump Staat um Staat gewonnen hat und seine Gewinnchancen auf allen Prognose-Websites schnell die von Clinton überholt haben. Die Menschen waren schon so verzweifelt, dass beim Sieg Clintons in Kalifornien, was jetzt ja echt ein sicheres Brett war, unverhältnismäßig gejubelt wurde, um gegen die schlechte Vorahnung anzukämpfen. Irgendwann kam bei mir die Spiegel-Online-Eilmeldung, dass Florida an Trump gehen würde – noch mehr als eine halbe Stunde, bevor sich NBC-News da so sicher war. Schon vorher sind viele Menschen enttäuscht nach Hause gegangen. Der Platz hat sich geleert, und die U-Bahn war voller langer Gesichter. Ich war um ein Uhr im Bett, und am nächsten Morgen war meine Vorahnung Gewissheit: Trump wird Präsident.
Am nächsten Tag bin ich durch den Central Park gegangen. Ich habe auf eine Karte geschaut, um mich zu orientieren, und ein freiwilliger Führer hat gefragt: „Hey, how can I help you, what are you looking for?“ Ich habe nur erwidert: „A new path in life, now that Trump will be president.“ Er hat traurig geguckt: „We all do, we all do…“ An diesem und auch am nächsten Tag bin ich routinemäßig am Trump Tower vorbeigegangen, um die Reaktionen zu sehen. Am ersten Tag standen dort viele Menschen, die ihre Mittelfinger vor dem Hochhaus photographiert haben, und der Naked Cowboy, der wohl bekannt ist. Am zweiten Tag war schon wesentlich weniger los, hauptsächlich vereinzelte Reporter. Auch die Lastwagen waren weg. Ich kann mich nur Mario Barth anschließen: Als ich da war, gab es keine großen Demonstrationen. Aber ich war ja auch unter der Woche tagsüber da – da werden viele Menschen arbeiten müssen. Die „I’m with her“-Aufkleber, die nach der Wahl an den Jacken vieler Menschen geklebt haben, waren jedoch schnell verschwunden.
Und so bin ich dann wieder nach Hause gefahren. Zuerst mit dem Bus nach Philadelphia, dann ein Inlandsflug nach Charlotte, und schließlich dann nach Frankfurt. Auf dem Inlandsflug hatten mehrere Personen Donald-Trump-Kappen an. Das fand ich persönlich sehr komisch – man stelle sich vor, nach der Wahl in Deutschland sieht man plötzlich zum Beispiel in der Bahn Menschen mit AfD-Kappen. Ich hoffe, das wird bei uns nicht passieren, denn diese Kappen sind Symbol einer bestimmten Stimmung. Ich habe nichts davon persönlich gesehen, aber in Philadelphia wurden Schaufenster mit Hakenkreuzen und „Trump 2016“ beschmiert. In Queens wurde einer schwarzen Frau gesagt, ihr Platz im Bus sei hinten. Landesweit haben sich viele Musliminnen nur noch ohne Kopftuch auf die Straße getraut. Ich glaube nicht, dass das jetzt ein repräsentatives Bild ist. Trotzdem bleibt spannend, wie es mit den USA jetzt weitergeht; spannender als das vielleicht mit einer Präsidentin Clinton gewesen wäre.
Bevor mein Interkontinentalflug abgehoben hat, habe ich noch einen letzten Tweet abgesetzt: „Good bye, America! See you again… In like 5 years or something…“
Fun Fact: Es gab zwei Präsidenten, die sich nicht an die von George Washington etablierte und später in Verfassung gegossene Regel der zwei Amtszeiten für Präsidenten gehalten haben, und beide hießen Roosevelt. Theodore „Teddy“ war der mit den Nationalparks Anfang des 19. Jh., Franklin D. der während des zweiten Weltkriegs – nicht verwechseln! ↩︎
Bekannt für ihren Hit What does the Fox say. ↩︎
Ich habe leider keinen „local Brie“ gefunden. ↩︎
Ich glaube ja, der schwarze Security-Mann mit beigem Trenchcoat, Schlapphut und markiger Stimme war Teil der Show. ↩︎
Eine ehemalige Hochbahnstrecke, jetzt ein Park auf Stelzen. ↩︎