Die Datenkrake

Über WhatsApp und Zentralismus

Was habt ihr denn erwartet? Dass ein börsennotiertes Unternehmen 19 Milliarden Dollar ausgibt, ein wichtiges Kommunikationsmedium zu kaufen, um es dann kostenlos an alle zu verteilen, ganz ohne davon selbst irgendwie profitieren zu können? Mit Sicherheit nicht. Spätestens als das ehemals kostenpflichtige Angebot von WhatsApp plötzlich kostenfrei wurde, hätte man eigentlich zweifeln müssen.

Aber es ist doch so bequem. Ich installiere diese App auf meinem smarten Mobiltelefon, bestätige dort kurz meine Telefonnummer, und schon sehe ich alle Menschen, deren Telefonnummer ich im Telefonbuch eingetragen habe und die auch WhatsApp verwenden, und kann problemlos mit ihnen schreiben, ohne dass dafür diese lästigen SMS-Gebühren anfallen. So etwas gab es vorher noch nicht, und alle anderen mobilen Messenger sind letztendlich ein Abklatsch dieses Originals, dass mit Abstand die größte Nutzerbasis hat. Weite Teile meines alltäglichen Lebens wären ohne WhatsApp sehr kompliziert. Wenn ich, ob aus Karlsruhe oder den USA, dem Rest meiner Familie schreiben möchte, wie es mir geht, läuft das über einen Gruppenchat auf WhatsApp. Wenn zur Unizeit eine Vorlesung spontan ausfällt, erfahre ich das frühzeitig über WhatsApp – und kann im Bett bleiben. Wenn ich mich mit Freunden treffen möchte, läuft die Verabredung auch in den meisten Fällen über – wer hätte es gedacht – WhatsApp. Kurzum: Ohne WhatsApp wäre ich ein von weiten Teilen meines sozialen Umfelds abgeschnittener Mensch. Und das gilt garantiert für sehr viele Jugendliche und Erwachsene meiner Altersklasse.

Und jetzt kommt Facebook daher, so scheint es, und macht das alles kaputt. Wo man sich vorher gar keine Sorgen gemacht hat, welche Daten bei einem inzwischen vollständig (Ende-zu-Ende-)verschlüsselten Nachrichtendienst vom Betreiber abgreifen könnten, ist es jetzt offensichtlich: Meta-Daten. Meine Telefonnummer, alle Telefonnummern in meinem Adressbuch, wann ich online bin, wann ich mit wem schreibe. Bei solchen Informationen braucht man den eigentlichen Nachrichteninhalt schon gar nicht mehr mitzulesen. Und dann auch noch Facebook, der Inbegriff des Bösen, der manifestierten Datenkrake – genau die wollen diese Daten mitlesen. Facebook, die so häufig ihre verwirrenden und viel zu langen Geschäftsbedingungen ändern, gegen die man sich nur wehren kann, indem man schlecht formulierte Texte mit pseudo-juristischem Anspruch als Bilder an die eigene oder Mark Zuckerbergs Pinnwand postet. Bei keinem anderen Unternehmen interessiert uns Datenschutz so sehr wie bei Facebook, das doch in einem Akt von Selbstkasteiung jeder, nachdem er sich kurz (online) darüber beschwert hat, weiter benutzt.

Ich glaube ja, ein großer Teil der Aufregung kommt daher, dass Facebook schon seit längerem nicht mehr „cool“ ist: Seit unsere Eltern das Netzwerk für ihre Zwecke nutzen, ziehen sich die jüngeren Nutzer immer weiter zurück. Wenn die eigene Mutter deinen Post liket, ist das in etwa so, als kommt sie zu dir in die Schule, um dir auf dem Schulhof, wo du inmitten deiner Gang stehst, ein Pausenbrot vorbeibringt. Ich übertreibe hier, aber es gibt viele Sachen, mit denen man vor dem eigenen Freundeskreis nur zu gerne prahlt, die man aber den eigenen Eltern eher nicht zeigen möchte. Und dann verwendet man halt Twitter (für die älteren Kinder), Snapchat (der Hit bei den Jüngeren), oder WhatsApp. Facebooks Move ist also mal so gar nicht cool.

Aber, um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Was haben wir denn erwartet? Irgendwie muss sich diese App doch rechnen für Facebook als Inhaber. Und verknüpfbare Daten, insbesondere mit der eindeutigen, sehr wertvollen Telefonnummer, sind die Währung, wenn man im Internet (in der Regel mit Werbung) Geld verdienen möchte. Je mehr Facebook weiß, was du magst und tust, desto wahrscheinlicher ist es, dass du wirklich interessiert auf die Werbung klickst, die dir dort angezeigt wird – und desto teurer kann es diese dann verkaufen. Und solange Werbung die einzige Möglichkeit für Facebook ist, Geld zu verdienen, muss es so viele Daten wie möglich sammeln und verknüpfen. Das ist, bis jemandem etwas Geschickteres einfällt, der einzige Weg.

Mit echtem Geld für digitale Dienstleistungen im Internet zu bezahlen ist nämlich momentan eine sehr unbeliebte Sache. Ich will Videos gucken? Ich gehe auf YouTube, da geht das kostenlos. Ich will Musik hören? Spotify hat kostenlos so ziemlich alles, was ich jemals hören können wollte. Ich will Dinge recherchieren? Die Google-Suche ist mein kostenloser Einstieg. Ich will in einem Lexikon nachschlagen? Wikipedia. Ich will Zeitung lesen? Ja, auch das geht im Internet kostenlos. Den Betreiber der Plattform und den Urheber der Inhalte kostet der ganze Spaß aber schon was.

Facebook und Google sind groß genug, sich mit Werbung finanzieren zu können. Bei Musik und Filmen ist man als Nutzer (auch dank inzwischen sehr einfacher Zahlungsmethoden) schon dazu bereit, mal einen kleinen Betrag als Flatrate zu zahlen – Spotify Premium und Netflix lassen grüßen. Wikipedia ist spendenfinanziert und von Freiwilligen gespeist. Was, wenn man mal von den alljährlichen, riesigen Spendenaufrufbannern absieht, ja auch sehr gut funktioniert. Ein Problem haben momentan nur die Zeitungsverlage, deren Werbung (mit teils sehr guten Gründen) geblockt wird, und für die keiner mehr bereit ist, Geld zu zahlen. Die haben also ihren Weg noch zu finden.

Aber zurück zu sozialen Netzwerken und Kommunikation. Dafür muss nur die Infrastruktur bereitgestellt werden, und dafür wird kein Nutzer mehr Geld bezahlen – allerdings, wie man jetzt wieder sieht, eben persönliche Daten. Was also tun? Die einfachste Lösung ist jetzt natürlich: Das Gleiche wie immer. Sich (auf Facebook) ein bisschen darüber beschweren, diese Option in den WhatsApp-Einstellungen deaktivieren, sodass theoretisch nur ein Teil der Daten geteilt werden darf. Und dann das Leben weiterleben wie vorher. Der motiviertere Nutzer schaut sich jedoch nach Alternativen um. Und da gibt es einige – schließlich ist das Grundkonzept eines Messengers ja nicht so kompliziert. Ganz offensichtlich gibt es da die diversen Messenger von Facebook und Google – die sind aber, wie bereits festgestellt, uncool. Außerdem sind die nicht wirklich in unser Telefonbuch integriert – das ist ja unkomfortabel. Dann gäbe es da noch ein paar Apps, die vom Konzept her so ähnlich sind wie WhatsApp, mit einem Unternehmen, dass dahinter steht und die Dienstleistung irgendwie kostenlos anbietet – aber dann kann man im Grunde auch bei WhatsApp bleiben. Threema wäre eine bezahlte Alternative: Ähnlicher Funktionsumfang wie WhatsApp, und da man zu Beginn ein paar Euro bezahlt, ist auch klar, wie sich das Unternehmen finanziert. Oder man verwendet (teilweise) freie Software, hinter der eine Stiftung steht, die von Freiwilligen mitentwickelt wird: Telegram ist hier der prominente Vertreter.

Wir merken jedoch schnell: Man verliert den Überblick. Diese App, jene App; am Ende verwendet man doch die Anwendung, die das soziale Umfeld gerade auch nutzt. Oder halt mehrere parallel (und dann verliert man komplett, weil man seine Daten einfach überall hin verteilt).

Was diese Dienste alle gemeinsam haben, ist ihre Zentralität. Es gibt nur ein Facebook, und das redet nicht mit anderen Netzwerken, die fast genauso funktionieren (wie Google+). Wer nur WhatsApp verwendet, kann in der App nicht mit den Nutzern schreiben, die ausschließlich Telegram verwenden. Das klingt irgendwo logisch, war aber mal anders. Die älteren erinnern sich vielleicht noch: E-Mails. E-Mails sind sehr schön dezentral. Ob ich meine Adresse jetzt bei Google, bei Yahoo, Hotmail, GMX, Web.de habe, ist furchtbar egal – ich kann mit allen anderen kommunizieren. Und da gibt es auch keine Datenschutzprobleme: Der Betreiber einer beliebigen E-Mail-Plattform, kriegt wirklich nur die Informationen, die er gerade braucht, um die Nachricht zu verarbeiten und darzustellen. Und wenn ich wirklich auf Nummer sicher gehen will, betreibe ich meine eigene Website mit Mailserver, dann habe nur ich Zugriff auf meine E-Mails.

So ein dezentrales Konzept hat viele Vorteile: Es ist datenschutzfreundlich, ich binde mich nicht an einen großen, monopolistischen Anbieter für Kommunikation, es ist in Gänze ausfallsicher – fällt Web.de mal aus, können alle anderen weiter E-Mails schreiben als wäre nichts; fällt Facebook aus, geht gar nichts mehr, teilweise noch nicht mal das Anmelden auf Seiten, bei denen man sich mit einem Klick auf einen Facebook-Knopf registriert hat. Es hat aber auch eklatante Nachteile: Es ist unkomfortabler. Ich habe eben keine automatisch befüllte Kontaktliste bei meinen E-Mails, und es ist (auch technisch) alles ein bisschen umständlicher. Und es gibt für die großen Unternehmen, die viele Ressourcen darauf verwenden könnten, diesen Aufwand zumindest ein bisschen zu reduzieren, keinerlei Grund, das zu tun. Im Gegenteil – damit gäben sie, wie wir oben festgestellt haben, ja ihre Haupt-Einnahmequelle aus der Hand.

Was also tun? Zuerst: Bitte, bitte, nicht noch mehr schlechte Bilder mit „Ich widerspreche…“ auf Facebook posten… Das… Also… Nee. Und dann: Werdet euch bewusst, was ihr online tut. Ich weiß, gerade für die technisch nicht so versierten Menschen ist das ein scheinbar nicht zumutbarer Aufwand, der keinen alltagsrelevanten Erkenntnisgewinn bringt. Aber das ist ein furchtbarer Fehlschluss – wenn man diese Dienste tagtäglich nutzt, sollte man sich halbwegs mit ihren Grundsätzen vertraut gemacht haben. Versucht also zu verstehen, welche Dienste ihr nutzt, wer sie bereitstellt und warum – gerade bei solchen, bei denen es um Kommunikation und freie Meinungsäußerung geht. Letzteres ist nicht ohne Grund teil unserer Verfassung. Und wenn die Mehrheit der Menschen ein echtes und ehrliches Bewusstsein dafür entwickelt haben, sind wir im Grunde auf dem richtigen Weg.


Ebenfalls erschienen im Neologismus 16-08

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