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Die Qual der Wahl

Am 13. März ist es wieder so weit: Es steht eine Wahl an. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und ein drittes Bundesland, das irgendwie selbst vom Heute-Journal mehr oder weniger ignoriert wird, wählen einen neuen Landtag. Es wird spannend! Diese Wahl ist nach Kommunal- und Europaparlamentswahl die erste Wahl für mich seit etwa zwei Jahren. Und eine ungleich schwerere: Von Europa- und insbesondere Bundespolitik bekommt man als halbwegs interessierter Mensch ja noch viel mit, auf kommunaler Ebene kennt man vielleicht noch einen Teil der Kandidaten. Eine Entscheidung in Sachen Landespolitik jedoch finde ich, zumal ich seit der letzten Wahl das Bundesland gewechselt habe, kompliziert.

Wen wählen?

Ich für meinen Teil habe nur eine recht grobe Vorstellung davon, was die Kompetenzen auf Landesebene überhaupt sind, wofür die Parteien auf Landesebene und die Direktkandidaten auf Ebene meines Wahlkreises überhaupt stehen.

Für mich ein weiteres Entscheidungs-Hemmnis ist das Wahlsystem: Hat man bei der Bundestagswahl zwei Stimmen (eine für einen Direktkandidaten, eine für eine Partei), die man unabhängig voneinander vergeben kann, hat man (zumindest in Baden-Württemberg) nur eine Stimme, mit der man beides gleichzeitig wählt. Bei der letzten Bundestagswahl basierte meine Wahl aber genau auf diesem Stimm-Splitting: Ich habe einen Direktkandidaten gewählt, den ich für sinnvoll hielt, aber gleichzeitig meine Zweitstimme einer ganz anderen Partei gegeben, mit deren Parteiprogramm ich mich mehr identifizieren konnte.

Doch diese Möglichkeit hat man bei der Landtagswahl jetzt nicht. Verschwendet man nicht seine komplette Stimme, wenn man eine Partei wählt, die am Ende nicht in den Landtag einzieht? Und wirkt sich das nicht genauso indirekt positiv auf die Ergebnisse radikaler Parteien wie der AfD aus, als würde man gar nicht wählen gehen?

Eine Wahl verpflichtet zu voriger, sinnvoller Meinungsbildung – aber welcher normale Mensch hat schon Zeit, sich von allen (wichtigen) Parteien die fast 80-seitigen Wahlprogramme durchzulesen? Wie gesagt, die Nachrichten, die man als vernünftiger Bürger vielleicht regelmäßig guckt, geben auch nicht viel Information und Aufschluss zu individuellen Landesthemen. Man könnte sich natürlich näher mit der Wahlwerbung beschäftigen – doch auch dort eröffnet sich ein Abgrund, den ich im Folgenden näher beobachten will.

Die Großen?

Als erstes hing, wie erwartet, die Werbung der großen Parteien, von CDU und SPD. Doch die hilft bei einer Entscheidungsfindung nicht weiter: So bestehen die Plakate ausschließlich aus den Gesichtern der Direktkandidatinnen, dazu ihre mir absolut unbekannten Namen und ein inhaltsbefreiter Slogan wie: „Baden-Württemberg leben.“ Und das hilft mir als Wähler nicht weiter. Gerade als junger Mensch bin ich (noch) kein Stammwähler einer großen Volkspartei. Trotzdem verhalten sich die Parteien so, als wäre genau das der Fall. Die CDU gibt im Wahl-O-Mat für Baden-Württemberg für manche ihrer Antworten auf durchaus kontroverse Fragen keine Begründung ab – keine andere Partei hat das in diesem Umfang getan. Wer schon gar nicht erst versucht, mit Argumenten zu überzeugen, darf sich auch nicht über das Wahlergebnis wundern – oder über aufkommende Politikverdrossenheit. Denn von welchem Weltbild zeugt dieses Verhalten? Es befeuert genau das Bild einer bürgerfernen Politik-Elite, durch deren Beschimpfung AfD und Co. Zuwachs bekommen.

Die Grünen werben in erster Linie mit ihrem Ministerpräsidenten: „Grün wählen für Kretschmann“ ist der Haupt-Slogan in diesem Wahlkampf, und das ist taktisch durchaus sinnvoll, wenn man sich seine Zustimmungswerte ansieht. Außerdem werben die Grünen, im Gegensatz zu CDU und SPD, auch mit inhaltlichen Aussagen auf ihren Wahlplakaten. Was man mir mit „Regieren ist eine Stilfrage“ sagen möchte, ist mir allerdings unklar.

Die Kleinen?

Die bei mir in der Gegend aufgehängten Plakate der FDP sind schlicht gruselig. Man sieht den Direktkandidaten in schwarz-weiß vor weißem Hintergrund, in freundlicher Pose. Doch leicht versetzt, halb transparent, ein FDP-neonfarbener „Schatten“: Der gleiche Direktkandidat, leicht nach vorne gebeugt, mit diabolischem Lächeln und verstörendem Blick. Text: „Unser Ziel muss sein, dass jedes Kind seines erreichen kann.“ Bei dem irren Blick des Schattens eine Botschaft mit verschreckendem Beigeschmack.

Die Piraten hingegen gehen einen anderen Weg, um die Wähler zu verschrecken: direkte Beleidigungen. Beispiel: „Ihr kreuzt doch lieber bei den rechten Hetzern an! — Hinterher will’s keiner gewesen sein!“ Oder auch: „Überwachung findet ihr super. — Aber wehe, man fotografiert über euren Zaun.“ Ich weiß nicht genau, was man sich dabei gedacht hat. Vielleicht soll diese als Beleidigung präsentierte Diskrepanz zwischen Selbstsicht und Wirklichkeit die potenziellen Wähler wachrütteln und zur Wahl der Partei bewegen. Allerdings scheint die Partei so nur ihre interne Debattenkultur nach außen zu tragen.

Die Linken sind in Baden-Württemberg jetzt das zweite Mal bei der Landtagswahl dabei, sind bei der letzten Wahl jedoch an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Die Plakate sind inhaltlich das, was ich mir an der Stelle wünschen würde: Sie behandeln ihre originären inhaltlichen Themen, die sogar tatsächlich Ländersache sind, und bleiben dabei sachlich. Der „BAMM“-Effekt einer comichaft stilisierten Explosion um die (teils obskure) Pointe des Plakats („Biologie, Geographie, Spaghetti“ mit Spaghetti umrandet) ist vielleicht etwas übertrieben, aber zu verkraften. Hier trifft einen höchstens die harte Realität, dass solche Themen teilweise fast langweilig sind, oder dass man der Partei inhaltlich nicht zustimmt. Doch immerhin hat sie sich bemüht.

Die Außenseiter?

Kommen wir zum schwarzen braunen Schaf der Wahl, der AfD. Ich weiß gar nicht, ob man sich inzwischen geeinigt hat, im TV-Duell gemeinsam mit ihr aufzutreten und ihr vielleicht auch inhaltlich zu begegnen. Denn statt ihre Plakate herunterzureißen, was hier scheinbar eine übliche Form des Protests ist, wäre das eine sinnvolle Möglichkeit, da ein paar eklatante Sachen gerade zu rücken. Betrachtet man nämlich die Wahlplakate, sieht man zwar (lobenswerterweise) Inhalte, diese sind jedoch bei näherer Betrachtung schlicht Unsinn.

Beispiel 1: „Null Toleranz gegen Terror und Gewalt“. Ich denke, diese Aussage würde jeder soweit unterschreiben. Jedoch impliziert das zwei Dinge: 1. Die anderen sind ja für Terror und Gewalt! 2. Wir verurteilen Terror und Gewalt nicht nur, nein, wir terrorisieren auch niemanden und sind nicht gewalttätig. Das sind zwar zwei nette Annahmen, die aber schlicht falsch sind – eine Wahrnehmung, die man Wählern der AfD nehmen könnte, würde man sich mit Vertretern der Partei mal in vernünftigem Rahmen öffentlich inhaltlich auseinandersetzen. Wäre ein TV-Duell mit AfD nicht eine große Chance, auch die inhaltlich isolierteren AfD-Wähler wieder mit vernünftigeren Informationen über Politik zu erreichen? Eine analoge Diskussion kann man zu der These „Bildung statt Ideologie an Schulen“ führen, die sich auch auf so manchem AfD-Plakat befindet.

Beispiel 2: „Asylchaos stoppen! — Grenzen sichern!“ Also zu aller erst fällt mir hier auf, dass ich der implizierten Konsequenz der Aussagen nicht zustimme: In einer globalisierten Welt mit globalisierten Nachrichten können wir das Problem zwar vor unsere Grenze verschieben und vielleicht auch vor die EU-Außengrenze, aber mitbekommen werden wir es trotzdem noch; weil das „Chaos“ nur verschoben, nicht aber gestoppt wird. Ganz unabhängig davon: Seit wann ist bundesdeutsche Grenzpolitik Ländersache? Oder soll hier nur Baden-Württemberg abgeschottet werden?

Aktionsvorschlag: Man schneidet sich große „*“ aus, klebt sie auf die AfD-Plakate und versieht sie so mit Fußnoten, die die Rhetorik der Plakate, aber auch eine inhaltliche Faktenlage präsentieren. Vielleicht können sich die etablierten Parteien die Plakate der AfD aufteilen (es gibt ja genug davon), und abwechselnd bekommt man zu jedem AfD-Plakat einen Kommentar einer Partei mit inhaltlicher, begründeter Gegenaussage zur AfD-These. Und dann irgendwie noch ein paar Plakate für die Aktion nach dem Motto „Das Kleingedruckte lesen ist zwar blöd. Aber es ist Deine Politik. Tu‘s also!“ Alternativ wäre das auch eine wesentlich sinnvollere Guerilla-Aktion, als einfach Plakate abzureißen.

Eine abschließende Anekdote zur AfD noch: Bei mir vor der Wohnung liegt ein heruntergerissenes AfD-Plakat; darauf liegt ein einzelner Teebeutel. Ob Zufall oder subtiler Tea-Party-Scherz, ich bin mir da nicht sicher. Aber die Geschichte wäre zu schön, würde man hier nicht von Zufall ausgehen.

Hier wäre ich eigentlich fertig, hätte nicht ALFA, die vom alten AfD-Parteigründer Bernd Lucke nach dem Austritt aus der AfD gegründete Partei, erst kürzlich noch einige ihrer Plakate aufgehängt. Das Plakat bei mir direkt vor der Tür zeigt folgenden Spruch: „Staat ohne Grenzen? Geht gar nicht.“ Auf dem professionell hellblau gehaltenen Plakat sieht man aus weißen Punkten den Umriss Deutschlands. Doch aus der Ferne sieht man: An der südöstlichen Ecke Bayerns hängt noch ein unförmiger, nicht zu Deutschland gehörender Umriss. Was ist das? Österreich? Mallorca? Geht man näher heran, stellt man fest, nein, es ist nur die bröselnde Grenze. Schade eigentlich. Was ich sonst inhaltlich von ALFA halten soll, weiß ich nicht. Natürlich kann man sich hier über Herrn Lucke lustig machen, den seine eigene Partei verstoßen hat. Und man kann ihm vorwerfen, durch Gründung der AfD den politischen Diskurs in diesem Land sehr weit nach rechts geschoben zu haben. Doch eigentlich, und das muss man Lucke lassen, ist er nur seinen demokratischen Pflichten als Bürger konsequent nachgekommen: Er hat für sich festgestellt, dass keine der bestehenden Parteien seine politische Meinung angemessen vertritt. Also hat er seine eigene gegründet. Und selbst als die von Rechts verschluckt wurde, hat er sich davon nicht unterkriegen lassen, und hat gleich noch eine Partei gegründet.

Das Fazit?

Ich bin noch nicht wirklich schlau geworden aus dem, was politisch Mitte März hier ansteht. Ich habe inzwischen drei Wahl-O-Maten verwendet (auch den offiziellen), und habe drei unterschiedliche Ergebnisse bekommen. Meine Briefwahlunterlagen liegen zwar schon bereit, aber ich habe noch genügend Zeit, mir meine Meinung zu bilden. Wahrscheinlich werde ich noch ein bisschen in Wahlprogrammen blättern müssen. Es dauert länger, sein Kreuz zu setzen als man denkt. Aber eins weiß ich sicher: Ich werde meine Stimme nicht wegwerfen.


Titelbild: tonlistarlega (CC BY-NC 2.0)
Ebenfalls erschienen im Neologismus 16-02

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