Ein Kinoerlebnis

The Hateful Eight in der 70mm-Roadshow-Fassung

Das Summen von hunderten Gesprächen erfüllt den Kinosaal, während ich auf dem roten Samtsessel Platz nehme. Der Stuhl macht ein quietschendes Geräusch, wenn man seine Sitzfläche ausklappt. Manch einer hat seine Cola oder sein Bier in der Glasflasche, oder seinen Wein in den an der (ebenfalls klappbaren) Armlehne angebrachten Metallhalter gestellt. Kein Plastik; auch keine Musik – nur gespanntes Warten auf den Film.

Um kurz nach Acht wird der Saal verdunkelt. Nur die wenige Scheinwerfer, die den roten Vorhang beleuchten, warten noch einige Sekunden, bis sie ihren Ausschaltvorgang abschließen. Es wird still im Kinosaal.

Auf einmal durchdringt der dunkle Klang eines Cellos den Saal und die Streicher spielen eine Ouvertüre. Bedrohlich, bei geschlossenem Vorhang und erlöschendem Licht baut der Film seine Atmosphäre auf. Drei Minuten später öffnet sich der Vorhang, und ohne Umschweife beginnt der Film mit Vorspann und, Tarantino-typisch, mit „Chapter One: Last Stage to Red Rock“.

Doch wir sollten einen Schritt zurücktreten, und erklären, wie ich hier hergekommen bin. The Hateful Eight ist laut Selbstbezeichnung der achte Film des Autors und Regisseurs Quentin Tarantino, bekannt für zum Beispiel Pulp Fiction oder Kill Bill. Wie sein letzter Film, Django Unchained ist auch The Hateful Eight ein Italowestern, mit seiner besonderen Sichtweise auf den Wilden Westen: Exzesse und ein Anti-Held als Gegensatz zu den moralisierenden amerikanischen Western. Spiel mir das Lied vom Tod ist ein nennenswerter Vertreter dieses Genres der 60er Jahre, dessen Elemente Tarantino in seinen Filmen immer wieder aufleben lässt.

Was The Hateful Eight besonders macht, ist die Technik, in der er aufgenommen wurde. Werden heutzutage viele Filme digital produziert, setzt Tarantino seit jeher auf analoge Filme. Doch dieser Film geht noch einen Schritt weiter. Er verwendet die 70mm-Technik, eingesetzt bei großen Monumentalfilmen wie Ben Hur zu Hochzeiten des Kinos. Das ungewöhnlich breite Bild (Seitenverhältnis 2,76:1 statt üblichen 1,85:1) wird dabei mit speziellen Linsen gestaucht und auf 65mm-Film aufgezeichnet. Diese Linsen, seit 1966 unbenutzt in einem Archiv, wurden restauriert und von Tarantino wiederverwendet.

Natürlich kann man The Hateful Eight auch in einem gewöhnlichen Kino anschauen, in dem der Film in einer digitalen und auf das normale Seitenverhältnis zurechtgeschnittenen Fassung gezeigt wird. Allerdings gibt es im deutschsprachigen Raum fünf Kinos, die den Film nicht nur in der originalen 70mm-Fassung, sondern auch auf einer gekrümmten „Cinerama“-Leinwand so zeigen, wie ihn der Regisseur vorgesehen hat.

Schauburg Karlsruhe

Schauburg Karlsruhe

In Karlsruhe steht mit der Schauburg eines dieser Kinos. Von außen fast unscheinbar, drängt sich seine graue Fassade zwischen die Häuser der Innenstadt. Man fragt sich, wo hier Platz für ein Kino sein soll. Betritt man das Gebäude, wird man von einem charmanten, alten Glanz überrascht. In der schmalen Eingangshalle reihen sich alte Schalter aneinander, von der verspiegelten Decke hängen scheinbar unzählige, goldene Lampen. Man geht vorbei an einer Theke, bei der man sich den Käse-Dip zu seinen Nachos noch selbst zapfen muss. Und dann betritt man das Foyer, in dem ein Kronleuchter von der Decke hängt, zwischen den beiden freistehenden Treppen, die sich symmetrisch in das zweite Geschoss hinauf wenden.

Das Kino ist alt; das älteste der Stadt. 1929 gegründet und 1949 neu aufgebaut, versprüht es einen unglaublich nostalgischen Charme, der sich nicht durch die wenigen baulichen Elemente trüben lässt, die scheinbar aus der hässlicheren Phase der 70er Jahre stammen, wie alte Gummi-Handläufe an den Treppen oder der cremefarben gestrichene Rauputz an manchen Wänden. Man sieht den Glanz der Lichter, das edle Rot der Vorhänge, die goldenen Wasserhähne auf dem marmornen Waschbecken auf der Toilette. Man fühlt sich in eine andere Zeit versetzt.

Betritt man das Foyer der Schauburg, um den The Hateful Eight zu sehen, sollte man nicht vergessen, sich sein Programmheft abzuholen – kein billiger, selbstausgedruckter Flyer; nein, ein hochwertiges, 16-seitiges Heft, gedruckt auf schwerem, matten Fotopapier. Was man sonst nur vom Theater kennt, wertet das Warten auf den Filmbeginn deutlich auf. Man erhält eine Einführung in die Technik hinter dem Film, sieht Bilder hinter den Kulissen und erhält eine Einführung in Schauspieler und Rollen. In der Mitte befindet sich ein fast ausklappbares Samuel-L-Jackson-Pinup (obwohl man diese Wortwahl nach etwa der Hälfte des Films sehr bereuen wird). So ausgestattet, betritt man den Kinosaal und wartet gespannt auf den Beginn des Spektakels.

Womit wir wieder beim Anfang wären. Der Film eröffnet mit einer weißen Schneelandschaft kurz vor dem Sturm. Hier sieht man direkt, dass der Film analog gedreht wurde, und analog wiedergegeben wird. Es ist das leichte Flimmern an den hellen Bildstellen, und das gerade dort verstärkt auffallende Auftauchen von vereinzelten Staubkörnern oder Haaren auf dem Filmband und damit der Leinwand, das selbst in mir als sehr jungen Kinogänger noch ein nostalgisches Gefühl entlockt. Ich glaube, der Film zelebriert genau dieses Gefühl auch ein bisschen, aber das ist sein gutes Recht. Ich für meinen Teil war gepackt von Flair des Kinos, des Films und—

„Intermission“, zeigt die Leinwand in weißer Schrift auf schwarzem Grund. „Pause“, untertitelt die deutsche Übersetzung. Denn genau das wird nach fast zwei Stunden auf sehr stilvolle Art gemacht. Der Vorhang schließt sich, das Licht geht an, man kann sich die Beine vertreten, Popcorn nachfüllen, oder, falls man das eingangs vergessen hat, sein Programmheft abholen und studieren.

Bevor der Film nach der Pause weitergeht, folgt erst wieder eine Ouvertüre. Und dann wird man genau da abgeholt, wo man in die Pause gegangen ist. Ein überraschend eingeführter Erzähler erklärt uns, was in der Zeit unserer Abwesenheit passiert ist (nicht viel), und was unsere Protagonisten jetzt tun. Man ist wieder mittendrin.

Über den Film selbst will ich an dieser Stelle gar keine Worte verlieren. Obwohl ich inzwischen doch die meisten von Quentin Tarantinos Filmen gesehen habe, so will ich mir doch nicht anmaßen, sie so gut verstanden zu haben, um sie zu bewerten und The Hateful Eight einordnen zu können. Das will ich anderen überlassen. Genauso wenig will ich in irgendeiner Form der Handlung vorgreifen, die gerade im zweiten Akt, nachdem die Protagonisten eingeführt worden sind, einige interessante Wendungen nimmt.

Während ich nach dem Film das Kino verlasse und mich auf den Heimweg mache, überlege ich, was mir das Werk sagen möchte, was den Film besonders macht. Wenn mich das jemand fragt, werde ich antworten: „Der Film ist ein Tarantino“. Und das ist eine Antwort, die den Fragesteller zufriedenstellen wird (im Gegensatz zu allen anderen Regisseuren, die man in diesen Satz einsetzen könnte).

Was aber wirklich hängen geblieben ist, ist der Eindruck des Abends, der mit großem Erfolg gleich doppelt in eine andere Welt versetzt hat. Natürlich werde ich auch wieder in andere Filme in anderen Kinos gehen. Und doch war dieser Abend etwas besonderes – meiner Meinung nach, wie Kino wirklich sein sollte: Besonders.


Titelbild: David Holt (CC BY 2.0)
Bild Schauburg: Kucharek (CC BY-NC-SA 2.0)
Ebenfalls erschienen im Neologismus 16-02

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