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How to be American

East Side Story – Teil 2

And I won’t forget the men who died, who gave that right to me.
And I’d gladly stand up next to you and defend her still today.
‘Cause there ain’t no doubt I love this land, God bless the U.S.A.”

Lee Greenwood, Proud to be an American

Herzlich willkommen zum zweiten Teil meines Reiseberichts aus den (großartigen) Vereinigten Staaten von Amerika. Wie bereits angekündigt, werde ich mich in diesem Teil besonders auf die Eigenarten des Landes und seiner Bewohner konzentrieren. Denn – und das kann ich zweifelsohne sagen – hier ist einiges anders als in Deutschland.

Auch wenn es vielleicht manchmal so klingt: Ich will nicht sagen, dass das hier schlecht ist – ich finde nur manche Dinge, wie die Tatsache, dass Gemüsebrühe hier in Tetra-Packs statt Pulverform verkauft wird, schon ein bisschen lustig. Und genau diese kleinen Geschichten möchte ich mit euch, liebe Leser, teilen.

Im Auto

Ohne Auto geht hier gar nichts. Ich käme nicht zur Arbeit, nicht zum Einkaufen, noch nicht mal weg vom Apartmentkomplex in dem ich untergebracht bin. Folglich haben so ziemlich alle Amerikaner (außer vielleicht jene, die in den Städten wohnen, in denen es echten ÖPNV gibt) ein Auto.

Und ganz grundsätzlich lässt sich feststellen: Verkehrsregeln sind erst mal optional, wenn nicht explizit ein Schild dransteht, dass bestimmtes Verhalten verbietet. An Ampeln an der Haltelinie halten? Macht keiner. Außer, es steht ein Schild da: „Stop here on red“, mit einem kleinen Pfeil der auf die Haltelinie am Boden zeigt. Auf einer mehrspurigen Straße als langsamerer Fahrer möglichst rechts fahren? Erst, wenn ein Schild dran steht.

Auch ganz offensichtliche Sachverhalte werden durch Schilder nochmals klargestellt: Wenn einem der große Pfeil auf dem Boden noch nicht gezeigt hat, dass man sich auf einer Linksabbiegerspur befindet, tut es definitiv das Schild: „Left Lane must turn left“. Und an der Linksabbiegerampel, die wie in Deutschland mit Pfeilsymbolen leuchtet, steht zur Sicherheit auch noch ein Schild: „Left turn signal“. Wenn es keinen Grünpfeil für Linksabbieger gibt, steht an der Ampel der offensichtliche Hinweis: „Yield on green“ – man soll also dem Gegenverkehr Vorfahrt gewähren als Linksabbieger, wer wäre da drauf gekommen? Manchmal findet man auch Ampeln, die mit dem Hinweis „Wait for green“ gekennzeichnet sind. Auf den ersten Blick ganz amüsant, weil, wofür sonst die Ampel, aber in Amerika dann doch relevant: Man darf nämlich an Kreuzungen mit Ampel auch abbiegen, wenn es rot ist – außer das Schild steht da.

Vor Brücken stehen Schilder: „Bridge may be icy“ oder „bridge ices before street“ – Dinge, die man bei uns in der Fahrschule lernen würde. Jedoch habe ich mir sagen lassen, dass das hier ein bisschen anders abläuft: Theoretisch kann man sich ohne vorigen Unterricht einfach anmelden, muss einen kurzen und überaus simplen Test ausfüllen, und fährt dann am Termin der praktischen Prüfung einmal mit Schrittgeschwindigkeit über den Parkplatz des Supermarkts vor der Verkehrsbehörde – 25 Dollar, fertig. Kein Wunder, dass da auch offensichtliche Dinge auf Schilder geschrieben werden müssen.

Diese Textschilder-Überverwendung hatte ihren Höhepunkt in einem Schild, das ich auf meiner Rückfahrt von Long Beach Island nach Hause am Rand einer kleinen Landstraße irgendwo im Nirgendwo betrachten konnte. In den riesigen Lettern einer Tafel, die sonst an Baustellen für Verkehrsinformationen verwendet wird, wieß die Administration darauf hin, dass doch bitte alle vom Gesetzgeber vorgesehenen Verkehrsregeln eingehalten werden sollten – das werde auch kontrolliert! Von so einer Kontrolle habe ich allerdings nicht viel mitbekommen, es hätte sich auf dieser Straße allein vom Verkehrsaufkommen her auch nicht gelohnt.

Die einzige auf Schildern festgehaltene Verkehrsregel, an die sich offensichtlich niemand hält, ist die Geschwindigkeitsbegrenzung. Wirklich alle fahren schneller. Ich habe von ein paar chinesischen Kollegen eine interne Wiki-Seite zum Leben hier nahegelegt bekommen (die leider zur Hälfte auf Chinesisch war), und sogar dort fand sich der Hinweis, es sei alles in allem sicher, ca. 10 Miles per Hour schneller zu fahren als erlaubt – man ist dann immer noch langsamer als alle anderen. Sogar die großen LED-Tafeln an der Autobahn, die die Fahrtzeit bis zu bestimmten Orten in Abhängigkeit von der aktuellen Verkehrslage angeben, rechnen ganz offensichtlich mit Geschwindigkeiten schneller als die Vorschrift.

Aber letztendlich ist zu schnell fahren objektiv betrachtet gar nicht mal so schlimm: Dann fährt man statt 90 km/h halt 100 km/h auf der Autobahn. Denn, ja, die Tempolimits sind hier sehr niedrig. Bei einem kleinen Staat kann ich restriktivere Geschwindigkeitsbeschränkungen ja noch verstehen: Dann wirkt das Land schlicht größer, wenn man es mit dem Auto durchquert. Aber die USA haben dazu eigentlich keinerlei Gründe. Immerhin gilt hier in Pennsylvania nicht die Regel, die ich im Urlaub in Florida kennenlernen durfte: Alle Autos sind entweder klein, alt, verbeult und an mindestens einer Stelle mit Duct-Tape verklebt, oder große, saubere, nagelneue SUVs.

Auf meinem Weg zur Arbeit komme ich im Auto immer an zwei anderen US-typischen Verkehrsphänomenen vorbei: Zum Einen sind das die Kreuzungen, die bei uns in Deutschland einfach „rechts vor links“ wären. Hier gibt es so etwas nicht, stattdessen stehen an allen vier Straßen Stoppschilder, und erstmal müssen alle anhalten. Dann fährt derjenige zuerst, der als erster angekommen ist – oder der, der sich zuerst traut. Zum Anderen ist das eine weitere große LED-Tafel mit mehr oder minder relevanten Informationen. Auf dem Weg zur Arbeit lese ich dann immer fröhliche Nachrichten nach dem Motto „abgelenkt Auto fahren ist so schlimm wie betrunken Auto fahren“ (Warum lenkt man mich für diese Information vom Autofahren ab!?), oder auch, vor animierten Flammen im Hintergrund: „No open burning anywhere!“ Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich, das Schild gehört zu einer Kirche, kündigt manchmal auch Gottesdienste an und zeigt Bibelsprüche und nützliche Tipps. Diese offenen Verbrennungen haben mich dann kurz sehr verstört – bis ich erleichtert aufatmen konnte: Das Schild gehört zur örtlichen Feuerwehr, die ihre in der Tat sehr schönen Retro-Feuerwerwagen bis dahin geschickt versteckt hatte.

Im Supermarkt

Die Grundregel beim Einkaufen ist: Alles ist furchtbar überdimensioniert. Das geht beim Supermarkt los. Der hat nicht nur 24/7 geöffnet (was ich mir bei meiner Rückkehr nach Deutschland ganz negativ angewöhnt haben werde), sondern ist auch gefühlt tausendmal so groß wie der Nahkauf, den ich zu Hause in Deutschland frequentiere. Doch nicht nur der Laden selbst ist riesig – auch die Portionen, die man hier kriegt. Ganz grundsätzlich scheint hier nämlich zu gelten, je größer, desto billiger. Häufig sogar in absoluten Zahlen, und nicht nur, wie auch in Deutschland üblich, relativ. Du willst Putenbrust kaufen? Dann nimmst du am besten das Family-Pack mit 24 Stück drin! Oder Chips? Am besten der 2-Kilo-Beutel. Beziehungsweise 4 lb – schließlich gilt hier noch das imperiale System.

Ein Trend, der zu beobachten ist, ist der große Hype von „organic“ products. Das klingt nach Bio, wird auch immer ein bisschen frischer aufgemacht, und ist doppelt so teuer wie das gegenüberliegende, „regular“ Produkt. Und „organic“ gibt es hier überall: Natürlich zuerst in der Obst- und Gemüseabteilung, wo neben den organic products auch gleich ein Bild der Landwirte der local farm steht, die das Gemüse angebaut haben sollen. Mein Highlight jedoch: Ein Schild am Straßenrand, das mit „organic matrasses“ wirbt. Fazit also: Egal was es ist, und ob das vernünftig ist – schreib „organic“ dran und verkauf es teurer – das fällt eh keinem auf.

Und dann liest man auf einer Verpackung etwas von „97% fat free“ und fragt sich, warum sie dann nicht gleich „3% fat“ draufschreiben – wäre ehrlicher. Ich glaube, das ist die ganz große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit hier: Vordergründig will man gesund, organic, biologisch, diet leben, aber wenn man auf die Details achtet, dreht sich das Bild schnell wieder.

Im Fernsehen

Wie auch in Deutschland nehme ich mir hier sehr wenig Zeit für Fernsehen. Dennoch habe ich beim Frühstück im Poolhaus des Apartmentkomplexes jeden Morgen einen etwa 20-minütigen Einblick in das hiesige Frühstücksfernsehen, das allen Klischees entspricht: Es gibt die Moderatoren, die vor einer ausgedruckten Skyline sitzen und über die Themen diskutieren; es gibt den Wettermenschen, der bei egal welchem Wetter draußen stehen muss; es gibt aber auch ein Wetter-Studio, in dem seine weibliche Assistentin ein Radarbild präsentiert und, auch wenn es sich um das regionale Programm handelt, auch immer auf die Waldbrände in Kalifornien eingeht. Es gibt einen Verkehrsbericht mit Satellitenbild, Webcams direkt am Ort des Stau verursachenden Unfalls, oder einen Helikopter, der den Verkehr filmt.

Und, ganz wichtig: „Action News“! Mein Highlight bisher: Der Bericht über die „Brain Eating Amoeba“, die krass grassiert. Ansonsten wird aber gerne über Vergewaltigungen durch zum Beispiel einen weißen Studenten, über schwarze Footballspieler, die sich aus Protest weigern, vor dem Spiel die Nationalhymne zu singen, und manchmal auch über Hillary Clintons gesundheitliche Probleme berichtet – seichte Unterhaltung auf ABC6. Leider fehlt mir hier ein bisschen die politische Einordnung des Senders – etwas, was man in Deutschland bei deutschen Medien einfach schon hat.

Aber bevor man sich zu viele Sorgen um politische Implikationen machen kann, läuft auch schon Werbung. Und die ist sehr spaßig, gerade im Vergleich zu deutscher Werbung. So gibt es zum Einen schlichtweg komische Produkte: zum Beispiel „baked beans the whole year“ – mehr als 12 unterschiedliche Sorten von einer Firma, die offensichtlich ausschließlich Baked Beans produziert. Sehr verbreitet ist auch, dass sich bei lokaleren Unternehmen am Ende des Spots der Chef kurz zu Wort meldet und kurz ein bisschen Unsinn nach dem Motto „Dafür stehe ich mit meinem Namen“ sagt – nur dabei irgendwie ein bisschen komisch wirkt, weil er als Inhaber eines lokalen Autohandels wie der Pate in einem großen, leeren, aber immerhin gut ausgeleuchteten Meeting-Raum sitzt.

Was man in Deutschland ja gar nicht kennt, ist das hier verbreitete Negative Campaining, die Anti-Werbung für Konkurrenzprodukte – zwar nicht überall, aber in bestimmten Bereichen. Mit dem Slogan „Leave Sprint“ ruft der Mobilfunkanbieter Verizon zum Beispiel dazu auf, den überteuerten Konkurrenten mit dem schlechteren Netz zu verlassen. Insbesondere die politischen Spots für die Wahlen im November fokussieren sich fast ausschließlich auf die negativen Aspekte der Gegenkandidaten – und immer wenn ich so etwas sehe, bin ich im Zwiespalt: Natürlich möchte ich, dass auch jemand schlechte Seiten an einer Marke / einem Produkt / einem Politiker aufdeckt. Aber wenn es statt einem unabhängigen Journalisten der direkte Konkurrent ist, hat das einen komischen Beigeschmack, und wenn stattdessen die konstruktive Debatte mit den eigenen, positiven Eigenschaften unter den Tisch fällt, ist das gar nicht gut. Auf das Thema werde ich in der nächsten Ausgabe mit einem Fokus auf die anstehenden Wahlen nochmal zurückkommen.

Bis dahin läuft erst mal Werbung für ein Medikament, dass Schmerzen lindern soll. Schöne Bilder eines glücklichen Anwenders auf einer Wanderung mit Familie durch den Wald – doch als er über eine hübsche Hängebrücke klettert, wird die fröhliche Frauenstimme von einer in doppelter Geschwindigkeit abgespielten Männerstimme unterbrochen, die ganz offensichtlich alle Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel vorliest: „Dieses Medikament macht sie anfälliger für Durchfall, sowie Krankheiten wie Tuberkulose…“, sagt der Mann, während der Patient im Video seine fünfjährige Tochter hochhebt und liebevoll herumwirbelt. Ich blinzele verwundert, denn das ist eine ganz obskure Variante des deutschen „Zu Risiken und Nebenwirkungen…“

Aber da entsprechen die USA auch einfach wieder dem Klischee: Überall muss eine entsprechende Warnung dranstehen. Wann immer jemand in einem Spot mehr macht, als geradeaus gehen und in die Kamera lächeln, steht „Do not attempt“ dran. Bei jeder Autowerbung, in der man das beworbene Fahrzeug auf der Straße sieht, steht der Hinweis: „Professional driver on closed circuit“. Und das zieht sich subtil durch die gesamte Gesellschaft. Auf meinem Rückspiegel steht „Objects in the mirror are closer than they appear“. Auf der Toilette im Restaurant steht: „Employees must wash their hands“. Solange man die Einwohner dieses Land of the Free vor allen Kleinigkeiten gewarnt hat, kann nichts mehr schief gehen.

Im Büro

Auch das Arbeiten ist hier in den USA ein bisschen anders als in Deutschland. Das mag einerseits natürlich an der subtil anderen inhaltlichen Ausrichtung bei uns im Unternehmen liegen: Wird in den deutschen Teams in der Regel Software entwickelt, ist unsere Niederlassung an der Ostküste eher ein Ort für Kundensupport und kundenspezifische Entwicklung. Allerdings ist auch generell das Klima im Büro ein subtil anderes.

Das geht am Eingang los. In Deutschland geht man durch eine anonyme Drehtür, ohne Zutrittskarte hat man keine Chance, das Gebäude zu betreten. Hier ist das anders: Es gibt zwar auch Kartenscanner, aber eben keine physische Zutrittsbeschränkung. Um es mit dem Worten eines Kollegen zu sagen: „No, we just have someone who yells at you.“ Und in der Tat, an den Eingängen steht immer ein tatsächlich sehr gut gelaunter, älterer Mann, der nett grüßt – so lange man eben seine Karte ordnungsgemäß scannt.

Im Büro selbst geht das dann weiter: Anders als in Deutschland üblich, wird hier in einem Großraumbüro gearbeitet, und nur wenige haben feste Sitzplätze. Das ist sinnvoll, denn gerade durch die Reisen zum Kunden, oder durch Kollegen, die zum Beispiel aus China „on rotation“ für ein paar Monate hier arbeiten, herrscht eine ständige Fluktuation an Personal, der so flexibel begegnet werden kann. Trotzdem ist es, und das überrascht mich immer noch, überraschend ruhig – manchmal sogar ruhiger als in einem kleineren Büro, wenn der Kollege grad mal Besuch hat.

Beim Mittagessen ist man meistens teamübergreifend unterwegs, was den netten Seiteneffekt hat, dass man mal aus allen unterschiedlichen Bereichen hier etwas mitbekommt. Ein bisschen gruselig ist der Müll, der beim Essen produziert wird. Man kann sich natürlich auch ein Tablett nehmen und kriegt dann einen Teller an der Essensausgabe. Die meisten jedoch tun das nicht: Dann gibt es das Mittagessen in einem Pappkarton („to go“), man nimmt sich noch die Plastikgabel, füllt sich eine Cola in den Plastikbecher – und isst dann doch here und nicht to go. Hier zeigt sich wieder diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die ich bereits angesprochen habe: Unser Gebäude ist mit einem super Umwelt-Siegel für Energieneffizienz und Umweltfreundlichkeit ausgezeichnet – das Siegel hängt groß auf einer Glasplatte am Eingang –, aber jeder Gebrauchsgegenstand ist nach Benutzung für den Müll und sogar in der Kaffee-Ecke gibt es nur Pappbecher und Getränke aus Alu-Dosen.

Zur Grundausstattung hier (gerade im Bereich Support) gehört ein Diensthandy. Das hat für mich den netten (oder gefährlichen) Nebeneffekt, dass ich mich noch nicht privat darum kümmern musste, eine Inlands-SIM-Karte zu erwerben. Aber auch schon mit dem Diensthany kriegt man einen interessanten Effekt der amerikanischen Telekommunikation mit: Rufummern werden wesentlich schneller weitervergeben als in Deutschland. Scheinbar ist es wirklich häufig so, dass jemand seine Rechnung einen Monat nicht bezahlt, dann wird seine Karte gecancelt, und im nächsten Monat ist die Nummer schon wieder neu vergeben. Ich kriege manchmal Anrufe und SMS von Menschen, die scheinbar die Vorbesitzerin der Nummer, eine Schwester in einem nahegelegenen Krankenhaus, erreichen wollen, und diesen Rufnummerwechsel noch nicht ganz mitbekommen haben. Ich habe auch schon Geschichten von einer Frau gehört, die bei einem solchen Anruf vergeblich versucht hat, eine doch nähere Verwandte zu finden, von der sie seit ein paar Monaten nichts gehört hat. Verzweifelt wollte sie vom neuen Inhaber der Nummer wissen, ob er Informationen über ihren Verbleib hätte – ganz offensichtlich konnte ihr nicht geholfen werden. Die netteste Anekdote ist jedoch die von einem Kollegen, dessen Handy früher scheinbar einem fischigen Drogen-Dealer gehört haben muss – jedenfalls kamen zu überraschenden Zeiten komische Anrufe. Nun arbeitet dieser Kollege jedoch in der Abteilung, die Services für US-Behörden anbietet, und meldet sich folgerichtig immer mit der Abteilungsbezeichnung: „National Security, how can help you?“ Die Anrufe haben sehr schnell aufgehört.

In der Stadt

Abends hier wegzugehen läuft auch etwas anders als in Deutschland. Dort gibt es ja irgendwo eine doch recht strikte Trennung zwischen Bars mit Bedienung und Essen, und Clubs, in denen DJs auflegen, aber erst mal Eintritt gezahlt werden muss. Hier ist der Übergang fließend, und die Lokalitäten sind in der Regel beides: Am Eingang steht nur jemand, der deinen Ausweis kontrolliert, und wenn du über 21 bist, bist du danach schon drin. Die Tische, an denen nachmittags noch Essen serviert wurde, sind etwas zur Seite geschoben, der Platz dazwischen ist ein improvisierter Dancefloor. In der Regel haben die Bars sogar mehrere Stockwerke und eine Dachterasse mit eigenen Theken und unterschiedlicher Musik. Ist die Bar gerade nicht so cool, spielt sich der Vorteil des fehlenden Eintrittspreises aus: Man zieht einfach zur nächsten weiter. Das Faszinierende jedoch ist: Egal was kommt und egal wo du bist, um 2 Uhr morgens gehen alle nach Hause und die Bars schließen. Für Bars ist das ja auch in Deutschland irgendwie üblich, aber Clubs sind in der Regel länger besucht – hier jedoch, warum auch immer, nicht.

In den USA gibt es ein sehr striktes Verbot von „public drinking“. Wer mit offenen Behältern für Alkohol auf der Straße herumläuft, macht sich strafbar. Das wird besonders spannend bei Restaurants, die gerne mal Teile des Bürgersteigs als Außenbereich mitnutzen – hier darf auch kein Alkohol serviert werden. Manche Restaurants entscheiden sich daher, überhaupt keine alkoholischen Getränke anzubieten und haben eine BYOB-Policy: Bring your own booze. Du bringst dein Bier, deinen Wein einfach selbst mit, Gläser und Behälter mit Eis zum Kühlen stellt das Restaurant. Manchmal bietet sich sogar die hilfsbereite Kellnerin an, schnell für dich in den Supermarkt um die Ecke zu laufen, und dir ein Getränk deiner Wahl zu kaufen. Der Konsum im Restaurantbereich auf der Straße geht dann auf eigenes Risiko, und manche „verstecken“ die Flaschen einfach unter dem Tisch. Andere jedoch lassen die Weinflasche offen auf dem Tisch stehen – noch habe ich niemanden gesehen, den die Polizei deswegen abgeführt hätte.



“Look, our forefathers died for the »pursuit of happiness«, okay? Not for the »sit around and wait of happiness«. Now if you want, we can go to the same bar, drink the same beer, talk to the same people every day or you can lick the Liberty Bell.”

–Barney Stinson

Als Gast und letztendlich auch Tourist habe ich mich natürlich nicht nur der Eigenheiten von Land und Leuten gewidmet, sondern auch dem Sightseeing. Von zwei Reisen möchte ich hier noch berichten.

All the Luck of the Amish

Am Montag, dem 5. September, war hier Labor Day – ein Feiertag, den ich zum Anlass genommen habe, eine kleine Rundreise in Richtung Landesinnere zu unternehmen. Hier geht es nämlich fürwahr historisch zu! Keine Viertelstunde von meiner Unterkunft entfernt findet man zum Beispiel den Valley Forge National Historic Park, in dem im Winter 1777-78 George Washington und seine Armee während des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs spontan überwintern mussten. Und so findet man neben rekonstruierten Holzhütten insbesondere auch von den Freimaurern gestiftete Triumphbögen und Statuen von mehr oder weniger wichtigen Unabhängigsgenerälen.

Gerade an einem öffentlichen Feiertag war diese Stätte als Sinnbild für großen Nationalstolz natürlich gut besucht, und so bin ich, nach einer kleinen Rundtour mit dem Auto (ja, alles ist ganz nett befahrbar mit Parkplätzen an den wichtigen Stellen) weiter in Richtung Westen gefahren.

Der nächste Stop auf der vom Reiseführer vorgeschlagenen Route war die Hopewell Furnace National Historic Site. Was erst nur wie ein Parkplatz mit angeschlossenem Souvenir-Shop aussah, entpuppte sich als eine der interessantesten Orte dieses Tages. Hinter dem Info-Zentrum versteckt lagen nämlich fast ein Dutzend sehr gut in Stand gehaltene Gebäude einer alten Eisenverarbeitungsstätte – von einem Hochofen über das Haus der Besitzer bis hin zu Häusern der Arbeiter ist noch vieles auf dem Stand des frühen 19. Jahrhunderts, alles liebevoll eingerichtet und zum betreten einladend. Am Wochenende laufen wohl kostümierte Arbeiter und Bauersfrauen auf dem Gelände herum; das sich noch drehende Mühlrad in Kombination mit den „Achtung heiß“-Schildern lässt sogar erahnen, dass hier manchmal noch Eisen geschmolzen und gegossen wird. Leider war mein Besuch am Labor Day an einem Montag, sodass ich ohne Bespaßung auskommen musste, doch das großartige Ambiente war schon spannend genug.

Weiter nach Westen hat mich meine Reise dann in das Gebiet das Pennsylvania Dutch County geführt. Diese Gegend wird von den Amish People bewohnt, Anhängern einer protestantischen Glaubensgemeinschaft, die im 18. Jahrhundert aus Europa ausgewandert sind, um religiöser Verfolgung zu entgehen, und heute in weiten Teilen noch wie damals leben. Das bedeutet Pferdewagen statt Auto, keinen Strom, viele Kinder, traditionelle Kleidung und Abgeschiedenheit. Hier lohnt sich einfach die idyllische Landschaft mit den kleinen weißen Farmen mit Silos hier und da.

Ephrata ist eine Stadt im Dutch County mit der angeblich größten amischen Bevölkerung Amerikas. Ich habe hier einen Halt für ein Kloster eingelegt, das zwar sehenswert sein soll, mir aber die 10 Dollar Eintritt dann doch nicht wert war. Ansonsten lohnt sich der Besuch wahrscheinlich nur, wenn mit dem Green Dragon Market freitags ein großer Bauern- und Handwerkermarkt am Stadtrand stattfindet.

Auf das nahegelegene Lancester habe ich auf Empfehlung meiner Familie verzichtet, und bin direkt weiter in Richtung meines Abendessens gefahren: Nach kurzem Zwischenstopp bei einem amischen Antiquitäten- und Souvenir-Geschäft sowie bei ein paar Trump-Supportern (ich werde in der nächsten Ausgabe in Details gehen) zum Restaurant „Good ’n Plenty“, das seinem Namen tatsächlich gerecht wurde. Hier wird man, was als allein Reisender echt praktisch ist, einfach mit knapp zehn anderen Menschen an einen Tisch gesetzt und isst gemeinsam Hausmannskost wie Beef-Stew, Potatoes, Beans, Ham, Fried Chicken, Noodles und Corn bis man platzt – und dann kommt der Nachtisch: Pie, Cheesecake, Ice Cream,… Ich war den ganzen Abend sehr gut unterhalten und habe mich sehr satt auf die Heimreise gemacht.

Philadelphia isn’t just a brand of cream cheese

Wenn man an der Ostküste unterwegs ist, kommt man um Philadelphia nicht herum. Da ich dann doch Recht in der Nähe wohne, gilt das für mich natürlich umso mehr. Mein Kommilitone Jonas, der bereits im Neologismus vom Juli diesen Jahres über Philadelphia als eine der großen Städte der Ostküste berichtet hat, hat die wichtigsten Fakten ja bereits zusammengefasst: Fünftgrößte Stadt der Staaten, Heimatort der Liberty Bell, Unterzeichnungsort der Declaration of Independence. Und gerade diesen historischen Hintergrund kann man schwer verleugnen, wenn man in der Stadt ist. Ich persönlich hatte das Gefühl, Philadelphia besteht zu 70% aus Statuen von wahrscheinlich sehr verdienten Menschen, die mir aber völlig unbekannt sind, und zu 30% aus Baustellen. So war bei meinem Besuch zum Beispiel ein Park, durch den man von der zentralen City Hall, lange Jahre per Gesetz das höchste Gebäude der Stadt, auf den Benjamin Franklin Parkway zum Philadelphia Museum of Art mit seiner berühmten Treppe geht, zur Zeit eine große Baugrube. Immerhin, man ist dem Motto der Stadt treu geblieben und hat an den Bauzaun Zitate von US-Präsidenten über Liberty und Freedom gehängt. Der historische Stadtkern mit den Stätten der Unabhängigkeit hat die praktische Eigenschaft, recht kompakt zu sein. Neben dem National Constitution Center an der Independence Mall steht direkt das Independence Visitor Center und dann das Liberty Bell Center. Letzteres ist dann auch der einzig wirklich relevante Besuchsort: Hier steht, wie der Name vermuten lässt, die bereits angesprochene Liberty Bell, die für viele Amerikaner das Symbol für Freiheit ist. Ganz offensichtlich natürlich bei der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung, aber auch bei Frauenrechten und beim Civil Rights Movement in den 60ern – „Let freedom ring…“ Der Eintritt ist kostenlos, man erfährt ein paar nette Geschichten, warum die Glocke einen Riss hat (der natürlich auf der Seite ist, die von allen fotografiert wird), und man sieht natürlich dieses bedeutende Nationaldenkmal.

Weiter geht es dann mit der Library Hall, in der die Unabhängigkeitserklärung verfasst wurde, die man aber leider nur besuchen kann, wenn man sich vorher im Independence Visitor Center kostenlose Karten abgeholt hat. Ich war zu faul, wieder zurückzugehen, und habe mich – vorbei an einigen weiteren Gebäuden aus der Zeit der frühen Nation – in Richtung Delaware River gemacht. Hier soll, geschätzte 80 km von Mündung in den Atlantik entfernt, William Penn, der Gründer der damals noch britischen Kolonie Pennsylvania, 1682 gelandet sein. Allein für den Ausblick über den Fluss lohnte der Besuch, wenngleich er bei meiner Ankunft nicht von kolonialistischem Pioniersgeist, sondern viel mehr von der Stimmung einer mexikanischen Unabhängigkeitsfeier begleitet wurde, die an diesem Tag dort stattfand. Mehr oder weniger unbeeindruckt von den atztekischen Tänzern auf der Bühne und den Leuten am Nesquik-Stand, die kostenlos ein neues Kakao-Produkt verteilt haben („proudly made with real milk“), bin ich mit Schlenker über den Washington Square (mehr Statuen, wer hätte es gedacht) noch zum Geheimtipp meines Reiseführers gegangen, dem Reading Terminal Market. Wahrscheinlich wäre ich besser ein bisschen früher in den in einem ehemaligen Bahnhof eingerichteten „gastronomischen Basar“ gekommen – manche der Händler hatten ihre Waren bereits zusammengepackt. Dennoch konnte man durch die Gänge schlendern, frischen Fisch und frisches Gemüse kaufen (auch wenn die Erdbeeren im Angebot nicht mehr so frisch aussahen), und einen frisch gebrühten Kaffee to go – Sorte des Tages: Bollywood Blend – kaufen und sich anschließend sehr amerikanisch vorkommen.

Und dann führte mich mein Weg auch schon wieder zurück nach Hause, wo nach Besichtigung der „alten Freiheit“ in Philadelphia ein Blick auf die „neue Freiheit“ mit dem Snowden-Film von Oliver Stone wartete. Mit diesem Blick auf Freiheit möchte ich für diese Ausgabe auch schließen, denn er bietet eine halbwegs vernünftige Überleitung in mein Schwerpunktthema für den nächsten Artikel: die anstehenden Präsidentschaftswahlen. In diesem Sinne: Bis zum nächsten Mal, und God bless the USA.


Ebenfalls erschienen im Neologismus 16-09

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