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„Make America Great Again“

Über die Wahlen in den USA – East Side Story, Teil 3

Es ist wohl inzwischen auch dem letzten klar geworden, dass am 8. November in den USA Präsidentschaftswahlen anstehen. Für die meisten Deutschen scheint die Entscheidung zwischen dem republikanischen Kandidaten Donald Trump und der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton eine sehr einfache zu sein.

Ich hatte hier die Chance, mich mit der amerikanischen Sicht auf die Kandidaten auseinanderzusetzen, mich mit einigen Wahlberechtigten zu unterhalten, und sehe das ganze Thema dann doch nicht als so einfache Entscheidung.

Doch bevor wir in die Probleme der Kandidaten der diesjährigen Wahl einsteigen, möchte ich erst das politische System hier in den USA kurz umreißen.

Politisches System

In den USA setzt sich das politische System, wie in Deutschland auch, aus drei Teilen zusammen: Der Legislative (die Gesetze verabschiedet), der Exekutive (die Gesetze umsetzt und regiert) und der Judikative (dem Gerichtssystem). Anders als in Deutschland gibt es hier in den USA echte Gewaltentrennung: Ist in Deutschland die Bundeskanzlerin Teil als „Chefin“ der Exekutive auch Teil des Bundestages, der Legislative, so kann hier in den USA der Präsident niemals Teil des Parlaments sein.

Wie in Deutschland besteht das Parlament, auch Congress genannt, hier aus zwei Kammern: Das House of Representatives und der Senate. Diese beiden Kammern sind verantwortlich für Gesetzgebung, sowie Entscheidungen über den Bundeshaushalt.1 Das House of Representatives besteht aus 435 Abgeordneten, die alle zwei Jahre in den einzelnen Congressional Districts, vergleichbar mit den deutschen Wahlbezirken, in mit einfacher Mehrheit gewählt werden – quasi die Bundestagswahl nur mit Erststimmen. Der Senate besteht aus jeweils zwei Abgeordneten pro Bundesstaat (unabhängig von dessen Größe); alle 2 Jahre wird jeweils ein Drittel per einfacher Mehrheit im jeweiligen Bundesstaat neu gewählt.

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt der USA. Alle vier Jahre von der Bevölkerung gewählt (dazu später mehr), ist er außerdem Regierungschef und Oberbefehlshaber der Truppen.2 Anders als die Bundeskanzlerin in Deutschland hat ein Präsident hier höchstens zwei Amtszeiten. Der amerikanische Präsident hat ein Vetorecht gegen Gesetzesentwürfe aus dem Kongress, das allerdings mit Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern übergangen werden kann. Außerdem ernennt der Präsident die Richter des Supreme Court, dem obersten Gerichtshof der USA vergleichbar mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht. Da der Präsident nicht vom Kongress gewählt wird, kann es vorkommen, dass die Partei, der er angehört, keine Mehrheit in den Kammern hat. Außerdem kann er vom Kongress seines Amtes enthoben werden, man spricht von Impeachment.

Wahlen Allgemein

Wie im vergangenen Abschnitt vielleicht aufgefallen ist, fallen viele der Wahltermine zusammen. Und so wird am Dienstag, dem 8. November nicht nur der Präsident gewählt, sondern auch über viele andere Dinge abgestimmt – von Senatsabgeordneten über Vertreter des Wahlkreises im Repräsentantenhaus bis hin zu Staatsanwälte der Bundesstaaten (hier gewählte Ämter). Außerdem können verschiedene Sachfragen ähnlich eines Volksbegehrens direkt mitabgestimmt werden – je nach Bundesstaat hat das Ergebnis Gesetzeskraft oder muss (wie bei einer Petition) vom jeweiligen Parlament behandelt werden. Diese Initiatives on the Ballot kann jeder Bürger einreichen, der hinreichend viele Unterschriften für sein Anliegen sammelt. Bei Interesse empfehle ich einen Blick auf einen der Sample Ballots aus der Gegend, in der ich mich momentan aufhalte.

Wahlen sind Sache der Wahlbezirke, und nicht nur stimmt jeder Wahlbezirk über unterschiedliche Dinge ab, er darf auch die Art, wie gewählt wird, selbst bestimmen. So gibt es wie in Deutschland üblich, traditionelle Papierwahlen, häufig aber auch Wahlcomputer verschiedenster Art (die in Deutschland vom Verfassungsgericht verboten wurden) oder sogar mechanische Wahlmaschinen.

Ein großer Unterschied zu Wahlen in Deutschland ist die Registrierung zur Wahl. In Deutschland erhält man vor jeder Wahl einen Brief, der einem mitteilt, wann und wo man wählen kann – man ist schließlich irgendwo gemeldet, der Rest geht von alleine. In den USA ist das nicht so einfach, denn es gibt kein bundesweites Meldesystem – noch nicht einmal einen bundesweit gültigen Personalausweis. Man muss sich also selbst zum Wählen registrieren, oftmals helfen dabei die Parteien. Die Registrierung wird von den Bundesstaaten geregelt, und alle haben andere Voraussetzungen. Eine sehr gute Videoserie auf YouTube erklärt sehr einfach „How to Vote in Every State“; ich kann nur empfehlen, sich mal einige Videos anzuschauen. Wie man sich bei der Wahl selbst ausweisen muss, ist auch von Staat zu Staat unterschiedlich. Pennsylvania hat einen eigenen Personalausweis, manche Staaten verlangen eine Driver‘s Licence, in Vermont zum Beispiel muss man sich gar nicht ausweisen. Es ist auch nicht festgelegt, in welchem Wahlbüro man wählen muss; einziger Missbrauchsschutz ist ein Verbot, sollte es auffallen. Es gibt für das Problem ein Sprichwort: „Vote early and vote often.“

Es gibt noch eine ganze andere Reihe von Problemen bei den Wahlen, von Provisional Ballots, für Wähler, die am Wahltag beschuldigt werden, verurteilte Verbrecher zu sein und somit nicht wählen zu dürfen, bis hin zu Gerrymandering, dem Anpassen von Wahlbezirken, sodass die Mehrheiten quasi schon vor der Wahl feststehen,3 die anzusprechen jedoch hier den Rahmen sprengen würde. Für eine ausführlichere Beleuchtung gerade solcher Themen empfehle ich den Podcast Alternativlos, der für vergangene Präsidentschaftswahl 2012 das Wahlsystem und seine Probleme erklärt.

Präsidentschaftswahl

Wie im ersten Abschnitt bereits angesprochen werden alle Wahlentscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen.4 Das führt dazu, dass es in den USA ein Zwei-Parteien-System gibt wie zum Beispiel auch in England. Um für die Präsidentschaftswahlen, für die es dementsprechend nur zwei echte Kandidaten gibt, dann doch ein bisschen mehr Auswahl zu schaffen, hat sich in den USA mit den sogenannten Vorwahlen ein faszinierendes System an innerparteilicher Demokratie gebildet, bei denen Präsidentschaftskandidaten-Kandidaten der einzelnen Parteien fast wie in einem echten Wahlkampf gegeneinander antreten und in sogenannten Primaries und Caucasus teilweise von der Öffentlichkeit, teilweise von den Parteimitgliedern gewählt werden können. Dabei werden nicht die Kandidaten selbst gewählt, sondern nur Delegierte, die auf den Parteitagen der Parteien einen Kandidaten nominieren.5

Jeder Kandidaten nominiert seinen eigenen Running Mate, die Person, die für ihn im Falle der Wahl Vizepräsident wird. Aufgabe des Vizepräsidenten ist hauptsächlich der Vorsitz im Senate,6 dort darf er bei Stimmgleichheit die Entscheidung treffen. Außerdem wird er zum Präsidenten ernannt, sollte der eigentlich gewählte Präsident unerwartet aus dem Amt ausscheiden – bis in der nächsten Wahl ein neuer Präsident bestimmt wird.

Bei den (Bundestags-)Wahlen in Deutschland gibt es das Konzept der Wahlkampfkostenrückerstattung (bzw. der staatlichen Teilfinanzierung): Nach der Wahl erhalten die Parteien gemäß des erreichten Stimmanteils einen bestimmten Geldbetrag, um Kosten für Wahlplakate usw. zurückerstattet zu bekommen. Außerdem sind öffentlich-rechtliche Fernsehsender in Deutschland verpflichtet, Sendezeiten für Wahlwerbung der Parteien kostenlos zur Verfügung zu stellen. All das gibt es in den USA nicht. Wer also Präsident, Abgeordneter oder Staatsanwalt werden möchte, muss große Mengen an Spenden einsammeln, um den Wahlkampf finanzieren zu können. Traditionell sind die Beträge, die Einzelpersonen an Kandidaten spenden dürfen, auf 2500 Dollar limitiert, 5000 Dollar an Präsidentschaftskandidaten. Konzerne und Organisationen dürfen nicht spenden. Daher wurde das Konzept der Political Action Committees (kurz PACs) entwickelt, die als von der offiziellen Kampagne eines Kandidaten unabhängige Organisation auch Geld von Unternehmen entgegennehmen dürfen. Bis vor der letzten Wahl galten jedoch auch hier Grenzen für die Spenden. 2010 hat der Supreme Court jedoch entschieden, dass auch für Unternehmen und Organisationen das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt, womit in Konsequenz dieses Spendenlimit fiel: Zwar sind Spenden der PACs an die Kandidaten selbst immer noch limitiert, die neuen sogenannten Super-PACs dürfen jedoch beliebig eigene Plakate aufhängen oder Werbespots finanzieren, ohne dass darauf ein Limit besteht. Infolge dessen war der Wahlkampf 2012 mit insgesamt fast 6 Mrd. Dollar Spenden bislang der teuerste in der Geschichte. Vielfach wird kritisiert, dass der große Einfluss teilweise anonymer Spender undemokratisch sei, und auch deutsche Unternehmen spenden an die Parteien.

Nach dem Wahlkampf, der von Negative Campaigning, „Anti-Werbung“ für den gegnerischen Kandidaten, Rallies, Wahlkampfveranstaltungen der Kandidaten, und TV-Debatten geprägt ist, steht dann die Wahl selbst an. Was viele nicht wissen: Die Bevölkerung der USA wählt ihren Präsidenten nicht direkt. Stattdessen gibt es ein Konzept von Wahlmännern, Electors: Jeder Bundesstaat hat eine vorher festgelegte Zahl an Wahlmännern.7 Bei einer Wahl stimmt man mit seiner Stimme für den Kandidaten letztendlich für die Wahlmänner des eigenen Bundesstaates, die vom gewinnenden Kandidaten nominiert werden. Im Dezember geben diese Wahlmänner dann ihre Stimmen für ihre Kandidaten ab. Die Einführung dieses Zwischenschrittes scheint sinnvoll, wenn man bedenkt, dass die Demokratie in den USA älter ist als ein vernünftiges Fernmeldewesen. Jedoch war der Hauptgrund der Einführung die Angst der Väter der Verfassung vor zu viel direkter Demokratie, bei der das Volk einem populistischen Demagogen verfallen könnte – dann könnten die Wahlmänner das Ergebnis nochmal gerade biegen. Das funktioniert, weil die Wahlmänner nicht daran gebunden sind, für den Kandidaten zu stimmen, der sie nominiert hat. Solche Faithless Electors gibt es jedoch heutzutage praktisch nie.

Wie die Staaten ihre Wahlmänner gemäß der Wahlergebnisse vergeben, ist nicht auf Bundesebene vorgeschrieben. Die überwiegende Mehrheit jedoch vergibt die Wahlmänner nach dem „The Winner Takes It All“-Prinzip: Der Kandidat mit der einfachen Stimmmehrheit im Staat erhält alle Wahlmänner dieses Staates.8 Verfahren hat gleich mehrere Implikationen: Zum einen stärkt es das bestehende Zwei-Parteiensystem weiter. Außerdem führt dazu, dass ein Kandidat Präsident werden kann, der insgesamt gar nicht die Mehrheit der Stimmen hat (die man als Popular Vote bezeichnet).

Rechenbeispiel: In unserem vereinfachten System gibt es drei Staaten 1, 2, 3 mit jeweils 10 Wahlmännern und die beiden Kandidaten A und B. A gewinnt in 1 und 2 sehr knapp mit jeweils 51% der Stimmen, B gewinnt 3 überwältigend mit 100% der Stimmen. A erhält also 20 Wahlmänner und gewinnt die Wahl gegen Bs 10 Wahlmänner. Insgesamt hat A jedoch nur 34% und somit weit weniger als die Hälfte der Stimmen; die anderen 66% hat schließlich B. Das klingt unwahrscheinlich, ist aber bei knappen Wahlen durchaus möglich: 2000 ist George Bush mit einer Mehrheit der Wahlmänner zum Präsidenten gewählt worden, obwohl er den Popular Vote verloren hat.

Die größte Auswirkung des Wahlmänner-Systems ist jedoch das Entstehen von Swing States oder Battleground States und Safe States: Bestimmte Bundesstaaten werden praktisch immer für eine bestimmte Partei wählen: Kalifornien ist immer demokratisch, Texas immer republikanisch usw. Da schon bei einer (sicheren) einfachen Mehrheit, alle Wahlmänner des Staates an den Sieger gehen, ist es unsinnig zu versuchen, die letzten paar Prozent an Stimmen zu erkämpfen. Safe States sind für die Kandidaten praktisch irrelevant, dort wird seltener Wahlwerbung geschaltet, es geht im Wahlkampf weniger um die Themen, die für diesen Staat relevant sind. Staaten, bei denen das Ergebnis nicht sicher ist, deren Wahlergebnis wechselt, sind jedoch umso umkämpfter. Gerade großen Swing States mit vielen Wahlmännern wie Florida und Ohio sind essentiell wichtig für den Ausgang der Wahl der Wahlmänner und daher besonders im Fokus der Kandidaten.

Das führt dazu, dass Wähler in Safe States (nicht zu Unrecht) das Gefühl haben, ihre Stimme würde sowieso nicht zählen. Manche frustrierten Wähler wählen sich am Wahltag einfach selbst – man kann für jedes Amt auch seinen eigenen Namen auf den Wahlzettel eintragen (Write In). In der Zeitung hier hat erst kürzlich ein Universitätsprofessor dazu aufgerufen. Diese Wahrnehmung trübt jedoch: Der Slate Star Codex rechnet sehr einfach vor, dass eine Stimme selbst in einem Safe State Pi mal Daumen 30 Dollar wert ist – in einem Swing State sogar 500.

Dennoch gibt es Bestrebungen der Safe States, diese Probleme des Wahlsystems ohne Verfassungsänderung überflüssig zu machen. Die wachsende Zahl an Mitgliedsstaaten des National Popular Vote Interstate Compact verspricht, alle ihre Wahlmänner nicht mehr gemäß „The Winner Takes It All“ zu verteilen, sondern an den Gewinner des Popular Vote zu geben, sobald sie über die Mehrheit der Wahlmänner insgesamt verfügen. Damit wäre das ganze System aus Wahlmännern, sobald genügend Staaten dem Vertrag beigetreten sind, de facto überbrückt, und die bestehenden Probleme wären aufgelöst.

Das ist aber noch nicht der Fall, und so gibt es noch Wahlmänner und alle damit verbundenen, teils obskuren Effekte. Einen besonders faszinierenden beschreibt Benjamin Morris in einem Artikel: Wie ein parteiloser Kandidat aus Utah mit dem Trick, bei der Entscheidung der Wahlmänner ein Unentschieden zu provozieren, Präsident werden könnte. Da das aber sehr unwahrscheinlich ist, sollten wir uns auf die beiden relevanten Kandidaten der diesjährigen Wahlen fokussieren:

Wahlen 2016

Hillary Clinton ist die Kandidatin der Democratic Party. Die Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton hat eine lange politische Geschichte: von ihrem Einsatz als Anwältin für Kinderrechte über ihre Zeit als First Lady der USA, ihre anschließende Mitgliedschaft im Senat bis hin zu ihrer letzten Position als Außenministerin der USA während der ersten Amtszeit von Präsident Barack Obama. Im Falle ihrer Wahl wäre sie die erste weibliche Präsidentin des Landes.

Ihr Konkurrent aus der Republican Party: Donald J. Trump, amerikanischer Unternehmer und CEO der Trump Organization, einem Unternehmen der Immobilien- und Unterhaltungsbranche.

Beherrschendes Thema dieses Wahlkampfes waren Skandale. Ich kann als Außenstehender nicht sagen, ob das schon immer so war – schließlich gab es auch zu Zeiten Obamas erster Kandidatur die unglaublichen Vorwürfe, er sei nicht in den USA geboren und dürfe daher nach geltendem Recht kein Kandidat sein. Aber mir pflichten hier genügend Menschen bei, dass dies der schlimmste und für viele Amerikaner insbesondere auch der peinlichste Wahlkampf ist, den es bislang gab. Die beiden Kandidaten, die für das höchste Amt des Landes kandidieren, sind in Umfragen die Unbeliebtesten, die es jemals gab. Und auf beiden Seiten gibt es Skandale, bei denen man nur mit dem Kopf schütteln kann.

Fangen wir mit Hillary Clinton an: Zum einen ist sie eng in die von ihrem Mann gegründete Clinton Foundation verwickelt. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, weltweit Gutes zu tun (wie im Grunde viele Stiftungen), wird aber von vielen Clinton-Kritikern kritisch gesehen: So wird eine Spende an die Stiftung weniger als eine gute Tat angesehen, sondern vielmehr als indirekte Bestechung der politisch aktiven Clintons. Wallstreet, die amerikanische Börse, habe Clinton gekauft, so der Vorwurf. Außerdem nehme die Stiftung Geld aus „bösen“ Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien an – gerade bei Russland kurz vor einem wichtigen Wirtschaftsdeal eines amerikanischen und eines russischen Unternehmens, den Hillary Clinton als Außenministerin abnicken musste. Außerdem hat sie ein Problem mit ihren E-Mails: Sie hat sie während ihrer Zeit als Außenministerin einen privaten E-Mail-Server betrieben und ihre dienstlichen E-Mails, teils als „geheim“ klassifiziert, über ihre private E-Mail-Adresse empfangen und versendet. Sowohl die Verwicklungen der Stiftung als auch die rechtliche Legitimität des E-Mail-Servers wurden überprüft, wobei kein Hinweis auf einen Rechtsbruch festgestellt wurde. Moralisch verurteilbar bleibt das Ganze. Außerdem wurden kürzlich von Wikileaks die E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta veröffentlicht, die ebenfalls zwar rechtlich unverfängliche, aber moralisch bedenkliche Inhalte haben: So wurde während der Vorwahlen Hillary Clintons wichtiger und gerade bei den jüngeren Wählern sehr beliebter Wettbewerber Bernie Sanders gezielt aus dem Rennen rausgemobbt. Außerdem wurden bei der republikanischen Partei explizit die lächerlichen Kandidaten wie Donald Trump gepusht, damit man bei der eigentlichen Wahl leichtes Spiel hat – so der Plan. Haupt-Kritikpunkt an Hillary Clinton ist und bleibt aber, dass sie schon seit so vielen Jahren Polit-Profi ist, dass sie zum „Establishment“ gehört und schon soweit von den Lebenswelten der normalen Bürger entfernt ist, dass sie gar kein Interesse mehr daran hat, diese zu verbessern – sonst hätte sie das ja schon längst tun können.

Mit diesem Makel muss sich Donald Trump nicht herumschlagen. Er ist politischer Neuling, und verspricht unter anderem auf Twitter unter dem Hashtag #DrainTheSwamp in Washington mal ordentlich aufzuräumen und dort wieder Ordnung einzuführen. Angeblich spreche für ihn, dass er erfolgreicher Geschäftsmann sei und wisse, wie man gute Geschäfte macht. Genau das ist allerdings auch sein Problem: Ständig machen Nachrichten die Runde, er sei gar nicht so reich, wie er behauptet. Und er kann das auch nicht beweisen, denn er will seine Steuererklärungen nicht veröffentlichen – was seit Jahren alle Präsidentschaftskandidaten gemacht haben. Es hat sich im Laufe des Wahlkampfs herausgestellt, dass er jahrelang gar keine Steuern gezahlt hat, was auch wieder legal, aber nichtsdestotrotz irgendwie ungünstig ist für jemanden, dessen Slogan „Make America Great Again“ ist. Auch Trump hat eine Stiftung, deren allgemeine soziale Leistungen fragwürdiger als die der Clinton Stiftung sind. Die geschäftlichen Verwicklungen in die eigenen Unternehmen lassen an seiner Unabhängigkeit zweifeln. Außerdem ist er, und das kann man durchaus so sagen, ein rassistischer, frauenverachtender Angeber: Er will an der Grenze zu Mexiko eine Mauer errichten, die schön und hoch sein soll (er habe da als CEO einer Immobilienfirma Erfahrung), außerdem werde Mexiko für die Mauer zahlen (weil er so gut im Verhandeln sei). Diese Absurdität wird nur von seinen Aussagen gegen Frauen überschattet: Er nennt eine ehemalige Miss Universe „Miss Piggy“ und „Miss Housekeeping“, trifft abwertende Aussagen über viele andere Frauen, und das Skandalvideo, in dem er offen damit prahlt, als Celebrity wie er könne man mit Frauen fast alles machen („grab them by the pussy“), hat ja auch in Deutschland Schlagzeilen gemacht. Er scheint einfach in vielen Bereichen keine Ahnung zu haben, wovon er redet, und tritt zeitgleich furchtbar überheblich auf. Für eine Auflistung aller Skandale beider Kandidaten empfehle ich einen Blick in die Satiresendung Last Week Tonight, die dazu eine eigene Folge produziert haben – übrigens noch vor der Veröffentlichung von Trumps Skandalvideo.

Spricht man die Anhänger der jeweiligen Kandidaten auf ihre jeweiligen Skandale an, wird sehr ausweichend reagiert und im Grunde immer auf die noch viel schlimmeren Skandale des jeweils anderen verwiesen. Ich habe es nicht geschafft, einer Gruppe zu entlocken, warum man ihren Kandidaten wählen sollte, ohne dass sie die negativen Aspekte des anderen Kandidaten nennen. Die Trump-Anhänger, mit denen ich mich unterhalten habe, sagen: „Ja, er wird halt Amerika wieder aufbauen, denn er liebt Amerika.“ Wie er das tun will, kann niemand sagen. Stattdessen heißt es, ja Hillary tue das ja erst recht nicht. Dann kriegt man einige Verschwörungstheorien zu hören, sie habe Parkinson und einen Katheter und sei allein schon daher ungeeignet für das Amt, aber die zumindest halbwegs vernünftigen Argumente lassen sich so zusammenfassen: Sie ist Teil des Establishments und ist in der Vergangenheit Kompromisse eingegangen. Und das ist irgendwo ein valider Punkt: Vielleicht hat sie ihren Idealismus aufgegeben und trifft im Zuge von Kompromissen auch Entscheidungen, die für die allgemeine Bevölkerung, die sich nicht täglich mit Politik befasst, zumindest eigennützig und falsch scheinen, wenn sie es nicht vielleicht sogar teilweise sind. Clinton-Anhänger werden dagegen immer sagen „Ja, aber Trump ist soo viel schlimmer.“ Und auch da haben sie recht. Einen so politisch inkorrekten Mann möchte ich nicht an der Spitze der USA haben. Trump-Supporter finden das gut und sagen, man müsse das kaputte System mit jemandem wie Trump einfach mal aus den Angeln heben, um es neu aufbauen zu können. Aber die Argumentation ist nie für den einen Kandidaten, sondern immer nur gegen den anderen.

Dabei geht es bei dieser Wahl ja durchaus auch um sachpolitische Themen, die vom zukünftigen Präsidenten entschieden werden sollen, darunter zum Beispiel auch die Ernennung neuer Richter für das Supreme Court, die dauerhafte Auswirkungen auf dessen Rechtssprechung haben werden. Für die Themen Steuern und Krankenversicherungssystem hat der YouTuber Jon Green zwei kurze erklärende und vergleichende Videos der Vorschläge beider Kandidaten gemacht. Die Ergebnisse von unparteiischen Analysen, die er vorstellt, zeigen, dass Hillary Clintons Pläne besser sind.

Doch ich für meinen Teil habe festgestellt, dass das schon niemanden mehr interessiert – gerade die jüngeren Wähler nicht. Viele sind schlicht demotiviert und glauben, mit ihrer Stimme sowieso nichts ändern zu können. Sie werden nicht zu den vielen Menschen gehören, die einen der beiden Kandidaten nur wählen, um den jeweils anderen zu verhindern.9 Es sind einfach Menschen, die den Glauben in ehrliche Politik verloren haben und zynisch geworden sind. Ca. ein Drittel der jungen Wähler, so viele wie noch nie, favorisieren einen der Third-Party-Candidates, einen Kandidaten der im Zwei-Parteien-System unbedeutenden Drittparteien wie den Grünen oder den Liberalen.10 Die haben jedoch, wie wir gelernt haben, überhaupt keine Chance bei den Wahlen, und dementsprechend gehen viele junge Menschen nicht wählen. Es tut mir furchtbar leid, so eine traurige Bilanz ziehen zu müssen, aber wie ich das in Diskussionen mitbekommen habe, gibt es den einen Trump-Anhänger, den einen Hillary-Apologeten und den dritten, der daneben steht und zynische Kommentare abgibt, die zwar politisches Interesse, aber absolute Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck bringen.

Und jetzt?

Wie geht es also weiter? Die New York Times hat kürzlich auf Basis von Umfragen ermittelt, dass Hillary Clinton mit 93-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Wahlen gewinnen wird. Das haben sogar die Republikaner inzwischen eingesehen und schalten Werbung, man solle doch bitte wenigstens für Senate und House of Representatives republikanisch wählen, damit diese die demokratische Präsidentin „in check“ halten, kontrollieren können. Trump hat zwar in der letzten Fernsehdebatte nicht sagen wollen, dass er das Ergebnis der Wahl auch im Falle seiner Niederlage annehmen würde, aber man geht hier davon aus, dass er das seinem Wählerkern so sagen muss, aber eigentlich selbst zu faul für eine Revolution nach einer für ihn ungünstigen Wahl hat – dafür habe er als Unternehmer zu viel zu verlieren.

Ich für meinen Teil werde wenige Tage nach der Wahl das Land verlassen und in die (hoffentlich) sichere Heimat zurückkehren. In der nächsten Ausgabe des Neologismus werde ich abschließend noch über meinen Urlaub berichten. Bis dahin: „Make America Great Again!“


  1. Haushaltsentscheidungen müssen erst im Repräsentantenhaus verabschiedet werden, bevor sie im Senat diskutiert werden dürfen. Bezüglich der Gesetzgebung sind beide Kammern gleichberechtigt. ↩︎

  2. Kriegseintritt steht allerdings unter Parlamentsvorbehalt. ↩︎

  3. Was teils obskure Auswirkungen auf den geographischen Aufbau der Wahlbezirke hat. ↩︎

  4. Wie wir im Folgenden sehen werden, gilt das für die Präsidentschaftswahlen in besonderer Weise. ↩︎

  5. In den diesjährigen Vorwahlen der Demokraten hat dieses System für Aufsehen gesorgt, weil eine nicht unbeträchtliche Zahl der Delegierten gar nicht demokratisch gewählt wurde. ↩︎

  6. Er ist jedoch nicht dessen Mitglied. ↩︎

  7. Die Zahl der Wahlmänner entspricht der Zahl der Abgeordneten des Staates in beiden Kammern des Kongress und ist somit linear von der Bevölkerungszahl gemäß des zehnjährigen Zensus abhängig. ↩︎

  8. Einzige Ausnahmen sind Maine und Nebraska, in denen die Wahlmänner nach Stimmverhältnis an die Kandidaten vergeben werden. ↩︎

  9. Vor etwa einem Monat bei lag die Quote der Wähler, die einen der Kandidaten nur wählen, um den jeweils anderen zu verhindern, bei ca. 30%-40% – bei beiden Kandidaten. ↩︎

  10. Wobei ich glaube, dass gerade die Liberalen nur genannt werden, weil sie Marihuana legalisieren wollen. ↩︎


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