Musik ist keine Lösung

Ein Versuch, Alligatoah zu verstehen – von jemandem, der eigentlich keine Ahnung hat

„Lasst mich euch berichten, von einem jungen Mann, seiner goldnen Ära (und seinem Untergang)…“, beginnt der Künstler sein (zugegebenermaßen altes) Album, Triebwerke, mit dem er seinen Durchbruch hatte. „Alle seine Freunde sahn ihn als Genie.“ Und erst vor kurzem begann mit dem „Comeback des Jahres (Intro)“ sein neues Album: „Musik ist keine Lösung“.

Ich bin weiß Gott kein Experte für Musik oder gar Rap (oder ist das Hip-Hop? Wo ist da eigentlich der Unterschied?), doch ist Alligatoah bereits im letzten Jahr nicht an mir vorbeigegangen und nicht nur im Ohr hängen geblieben – auch wenn sich mein Musikgeschmack für gewöhnlich in ganz anderen Genres bewegt. Daher versuche ich im Folgenden herauszufinden, was Alligatoah irgendwie besonders macht und insbesondere auch, was ich von seinem neuen Album halte, dass ich im Zuge dieses Artikels zum ersten Mal in Gänze höre.

Was ich auf den ersten Blick schön finde an Alligatoah, ist das Konzept, das sich durch seine einzelnen Alben zieht: In seinem letzten Album, Triebwerke,1 ging es um Liebe, verliebt Sein und darum, was ein Mann alles tut, um eine Frau zu beeindrucken. Die ersten Lieder erzählen davon, dass das (in Ermangelung eines besseren Begriffs) lyrische Ich verliebt ist, und zwar Hals über Kopf. Wir lernen schnell: „Willst du sie haben, dann brauchst du Narben“; er führt sie aus zu einem „Date“: „Willst du (mit mir Drogen nehmen)“. Auch beginnende Eifersucht und das Ende der Beziehung werden beschrieben. Als roter Faden zieht sich das mehrteilige Stück „Münchhausen“, das immer wieder erzählt, welche Lügengeschichten erfunden werden, um Frauen zu beeindrucken.

In seinem neuen Album ist das Konzept ähnlich, aber der Inhalt ganz anders. Statt um Liebe und Beziehung geht es nun um weit politischere Themen. Er beginnt ganz seicht mit seiner eigenen Rückkehr nach dem Erfolg des letzten Albums: Um aus dem Beliebtheits-Loch zu kommen, bedient er sich eines alten Tricks und singt einen Charity-Song „Denk an die Kinder“, in dem er andere (deutsche) Künstler explizit parodiert. Er kritisiert eine Kultur des sich gegenseitig Anklagens, des Wegwerfens, des Einschließens in soziale Kleingruppen mit strammer Ideologie. Er kritisiert die Medien-Kritisierer und zu guter letzt auch sich selbst: „Musik ist keine Lösung“ ist das letzte Lied der Platte. Dieses Mal ist das mehrteilige Lied „Mama, kannst du mich abholen“, in der das lyrische Ich die eigene Mutter anruft, nachdem es „Scheiße gebaut“ hat und „machtlos“ ist.

Ich möchte kurz auf Alligatoahs Stil allgemein eingehen.

Alligatoah macht sehr melodischen Rap mit langen, gesungenen Refrains. Musikalisch bedient er sich bei den verschiedensten Genres: Musikalische Einfwürfe aus Rock und Pop sind keine Seltenheit. Dadurch hat seine Musik starken Ohrwurmcharakter – man summt die Melodien manchmal einfach so, auch wenn man das gar nicht will, weil der dazugehörige Text in der aktuellen Situation schlicht nicht angebracht ist.

Bei seinen Texten kennt Alligatoah nur eine Ironiestufe: Ironie An. Es gibt kein einziges Lied, in dem der Text nicht ironisch wäre, aber auch keines, in dem er mehrschichtige Ironie verwenden würde. Deswegen ist Alligatoah in Interviews auch furchtbar langweilig – oder, wie im Neo Magazin Royale sehr gut zu beobachten, von der Ironie überfordert.

Alligatoahs Ironie ist meiner Meinung nach der wichtigste Knackpunkt bei seinem Erfolg: So kann man als Hörer sie einerseits als „Ausrede“ verwenden, seine Musik zu Hören: „Ich höre Rap, aber nur ironisch – hört man ja.“ In der Tat wirkt die Musik durch die Ironie intelligenter, vielleicht gewitzter – allerdings ohne dabei potenzielle Hörer zu verschrecken: Dadurch, dass per Definition nur exakt eine Ebene Ironie verwendet wird, ist diese sehr leicht zu durchschauen und die transportierte Botschaft ist schnell verstanden.

Dieser Gedanke, gepaart mit der eingängigen Musik, ist ein ziemlich kluger Schachzug – der nur noch vom tatsächlichen Inhalt und Text der Lieder abgerundet werden muss. Und hier bin ich gespaltener Meinung. In seinem letzten Album „Triebwerke“ war die Botschaft klar, konsequent und in sich vollständig. Die Geschichte von Liebe und Beziehung wird (auf ihre Weise) glaubwürdig erzählt. Dafür ist das Album textlich ganz obskur – selbst kurze Abschnitte kann man in der Öffentlichkeit eigentlich nicht vor sich hinsingen; meinen Eltern würde ich das Album niemals vorspielen.

Das neue Album geht da einen ganz anderen Weg: Der Text ist gemäßigter, die Sprache weit weniger vulgär – ohne dabei an (Wort-)Witz zu verlieren. Dafür funktioniert das Album inhaltlich weniger gut: Nicht, dass der politischere Einschlag Alligatoah als Künstler nicht gut getan hätte, jedoch hat er sich mit der Breite und Weitläufigkeit seiner Kritik meiner Meinung nach verhoben. Die Lieder funktionieren wunderbar, er ist inhaltlich definitiv gereift, hat aber einen Teil seiner Leichtigkeit verloren.

Ich sollte zu einem Fazit kommen. Wie eingangs erwähnt, trifft Alligatoah mit seiner Musik eigentlich gar nicht meinen Geschmack – oder sollte ihn zumindest nicht treffen. Dennoch hat er es irgendwo getan. Er produziert definitv keine Platten, die ich mir zum Geburtstag oder zu hohen christlichen Feiertagen wünschen würde – trotzdem macht er solide und, ja, gute Musik, die man gut hören kann.


  1. Es ist mir ein bisschen peinlich, dass ich den Wortwitz erst in dieser Sekunde verstanden habe. ↩︎


Titelbild: Florian Koppe (CC BY-SA 3.0)
Ebenfalls erschienen im Neologismus 15-12

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