Was die aktuelle Debatte über Fake News bringt
Spoiler: NichtsSeit Donald Trump allen Umfragen zum Trotz zum Präsidenten der USA gewählt wurde und dabei durchaus auch alternativen, rechten Nachrichtenseiten mit fragwürdigem Wahrheitsgehalt Einfluss zugesprochen wurde, ist ein neues Wort in aller Politiker und Journalisten Munde: Fake News.
Grundsätzlich finde ich eine offene Debatte um die verschiedensten Probleme unserer Welt gut und freue mich auch immer darüber, wenn sie grundsätzlicher als schlichte Tagespolitik werden. In ihrer aktuellen Form ist die Debatte über Fake News jedoch meiner Meinung nach mindestens problematisch.
Wenn man die gerade geführte Debatte nämlich mal zynisch auf einer Metaebene betrachtet, sieht man Menschen, vornehmlich Journalisten, die gerade ihre Glaubwürdigkeit verlieren, mit empörter Stimme fragen: „Warum glaubt uns denn keiner mehr?!“ Statt sich jedoch selbstkritisch damit auseinanderzusetzen, warum man als Lügenpresse beschimpft wird (sehr krass) oder die eigenen Zuschauer oder Leser schwinden und weniger Vertrauen in die journalistische Arbeit haben (weniger drastisch), wird die in Zeiten des Internets immer stärker werdende Konkurrenz von „freien Seiten“ und den sozialen Medien kritisiert.
Das ZDF heute journal vom 12. Dezember widmete sich sehr ausführlich und irgendwie repräsentativ dem Thema. Claus Kleber eröffnet die Sendung mit dem Thema, es gibt einen Einspieler mit Beispielen, Informationen und Politikern und ein Experteninterview, bei dem Interviewer und Interviewter irgendwie ein bisschen aneinander vorbeireden.
Definitionsversuche
Aber der Reihe nach. Was sind eigentlich Fake News? Dieser Begriff, der irgendwie nach der US-Präsidentschaftswahl aus dem Nichts gekommen ist, scheint sich einheitlichen Definitionsversuchen nämlich bislang zu entziehen. Im Einspieler im heute journal scheint das zunächst ganz simpel; Anhand von drei einfachen Beispielen (unter anderem „Die Kanzlerin sieht in ihrer Diktatur keinen Platz für Demokratie“) wird dem Zuschauer klar gemacht, worum es hauptsächlich geht: Offensichtliche Unwahrheiten. Das mag zwar in vielen der populär gewordenen Fällen stimmen, aber häufig reicht es bei solcher Propaganda ja schon, gezielt kleine Teile der Wahrheit wegzulassen oder anders zu interpretieren, um eine neue, andere Version der „postfaktischen“ Wirklichkeit zu plausibilisieren. Und dann muss man sich schon fragen: Sind nur offensichtliche Falschmeldungen Fake News? Sind es schon unhinterfragt wiedergegebene, falsche Aussagen von Politikern? Sind es schon Geschichten mit wahrem Faktenkern, der aber tendenziös in eine Richtung ausgelegt und interpretiert wird? Ist es die russische Nachrichtenseite Russia Today deutsch, ihr amerikanisches Gegenstück Breitbart, die jetzt nach Deutschland expandieren will, oder gar Schmalbart von dem Internetunternehmer Christoph Kappes, das explizit Gegenpropaganda zu Breitbart publizieren soll? Bis solche Fragen geklärt sind, bleibt Fake News ein Kampfbegriff ohne Inhalt.
Die Politik ist jedoch schneller als das, und so schlägt Stephan Mayer von der CSU in dem Einspieler im heute journal, der diese Fragen gar nicht aufkommen lässt, einen neuen Straftatbestand gegen Fake News vor. Leider bleibt auch er eine Definition von Fake News schuldig; fraglich bleibt außerdem, wer entscheidet, was Fake News sind und was nicht, und wie man eine Zensur im Zweifel durchsetzt. Ein paar weitere Fragen hat Netzpolitik.org gesammelt.
Gut, dass das heute journal einen Experten eingeladen hat. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen, stellt im Interview fest: „Wir haben eine Veränderung der Informationsarchitektur. Die Deutungshoheit des klassischen Journalismus schwindet.“ Früher waren es nur die großen Nachrichten, die vielleicht auch getrübte Wahrheiten verbreitet haben, aber es gab eben keine Alternativen. Heute jedoch gibt es das Internet: Jeder kann schreiben, jeder kann rezipieren. Durch diese wachsende Informationsflut wird allerdings auch eine persönliche Filterung nach Neigungen durch Algorithmen von Facebook, aber insbesondere die eigene Auswahl der Online-Freunde nötig. Dadurch wird das Weltbild, mit dem wir uns umgeben, durchaus einseitiger und es gibt nicht mehr zwingend wie früher eine gemischte Gruppe hauptsächlich auf Basis des Filterkriteriums „Wer wohnt gerade in der Nähe?“ beziehungsweise „Welche Zeitungen gibt es hier in der Nähe am Kiosk?“.
Und solche durch das Internet möglich gemachte Filterblasen sind ein Problem, das weniger diskutiert wird – auch, weil es ungleich komplizierter ist. Dieses Internetz ist nämlich ein zweischneidiges Schwert: Natürlich finden sich auch Menschen mit rechten Einstellungen zusammen und verstärken gegenseitig ihr potentiell fremdenfeindliches Weltbild mehr, als das bei einer Verteilung über ganz Deutschland früher der Fall gewesen wäre. Umgekehrt entstehen aber auch genügend positive soziale Effekte: Ein Projekt wie der Neologismus wäre ohne das Internet zur Kommunikation der Redaktion und soziale Netzwerke zur Verbreitung unmöglich. Und dass das Internet ungemein praktisch und auch wirtschaftlich wichtig ist, muss man inzwischen niemandem mehr erklären.
Von daher ist eine Debatte über Fake News und das komplette damit zusammenhängende Themenfeld schon wichtig. Aber so, wie sie aktuell geführt wird, bringt sie nichts. Von Politikern, die ihre Version der Wahrheit gerade an die AfD verlieren. Von einer Nachrichtensendung, die erst in einem Beitrag suggestiv fragt: „Was hat Russland mit all dem zu tun?“, später nochmal den Nachrichtensprecher fragen lässt: „Wie kommen manche Experten eigentlich dazu, immer so schnell nach Russland zu zeigen, wenn es um die Herkunft von Fake News, von gefälschten Nachrichten geht?“ aber als einzige Antwort einen lustlosen Verweis auf die eigene Facebook- und Twitter-Seite bringt, auf der nicht wirklich klar ist, was genau Claus Kleber jetzt meint. Diese Debatte können wir uns sparen.
Ich möchte einen zweiteiligen Lösungsversuch vorschlagen:
A) Die „klassischen“ Medien
Sie verlieren gerade ihre Glaubwürdigkeit und wollen diese wiederherstellen. Denn wenn sie jetzt sagen „Die da drüben machen Fake News“, sagen sie eigentlich „Wir hier machen die Wahrheit“. Und das stimmt wahrscheinlich auch im Vergleich zu vielen der neuen Konkurrenten, die wirklich eine starke Ideologie vermitteln – wirkt aber irgendwie wie eine Kindergartenreaktion und steigert bei denen, die sowieso schon das Vertrauen in die etablierten Medien verloren haben, das Gefühl von „Denen dürfen wir nicht trauen“.
Dementsprechend ist es wichtiger, wieder selbst ehrlich Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Da geht es einerseits darum, Fakten stärker von Interpretation und Meinung zu trennen – dann können wir vielleicht wieder über die selbe Faktenbasis reden und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen objektiver bewerten. Das ist zwar vielleicht eine Utopie, aber diese Trennung könnte ein erster Schritt sein. Andererseits sollte es in den Nachrichtensendungen mehr nachvollziehbare und überprüfbare Quellenangaben – durchaus im wissenschaftlichen Sinn – geben. Im normalen Fernsehen ist dafür vielleicht nicht immer Platz (das sehe ich ein), aber im Internet kann man solche optionalen, zusätzlichen Informationen problemfrei mitgeben. Claus Kleber sagt im Interview, es sei ja schwer, als normaler Mensch herauszufinden, was stimmt und was nicht. Ja, das ist absolut richtig, aber das liegt daran, dass so wenig dafür getan wird, es leichter zu machen. Mein Aufruf also: Setzt einen Standard! Wenn die Menschen Quellen fordern, können auch nur belegbare Nachrichten einen Markt haben – Fake News werden unmöglich.
B) Die Gesellschaft
Claus Kleber fragt im Interview im heute journal ganz offensichtlich rhetorisch: „Das heißt, der durchschnittliche Zuschauer muss sich jetzt selbst zum Journalisten ausbilden?“ Das lässt jetzt tief blicken, wie viel man mir an Medienkompetenz zutraut, denn das, was der interviewte Bernhard Pörksen sagt, ist wesentlich eingegrenzter: Nicht eine komplette journalistische Ausbildung ist nötig, jedoch sollten Fragen nach Glaubwürdigkeit und Relevanz einer Information Allgemeinbildung sein. Es geht also um die Unterscheidung, was ist Meinung, was ist Fakt. Wo sind logische Denkfehler in einer News, in einer Meinung, in einem Bericht. Und da braucht es vielleicht noch ein bisschen mehr Schulung der Gesellschaft, ein bisschen mehr Übung. Ich persönlich dachte eigentlich immer, das lernt man im Deutschunterricht, in dem man aus Gedichten – viel verschwurbelter als jede Fake News, als jede politische Rede – die Aussage herauszieht und kritisch reflektiert. Vielleicht ist es dennoch sinnvoll, das etwas direkter zu machen.
Und wir sollten Filterblasen aufbrechen. Das geht nur in der echten Welt, wenn man Leute direkt anspricht. Wenn wir als Gesellschaft solidarischer werden und zusammenwachsen auch mit Leuten, die mal nicht unserer Meinung sind und vielleicht komisch wirken. Auch denen müssen wir Aufmerksamkeit schenken.
Zu diesen Vorschlägen empfehle ich einen Blick in meine angefügten Artikel, allesamt älter als postfaktisch und Fake News.
So kann eine Debatte über Fake News jedenfalls sinnvoll sein. Aber dann braucht man den Begriff auch gar nicht.