Print ist tot – Lang lebe Print!
Gedanken über MedienDouglas Adams, Autor der Romanreihe Per Anhalter durch die Galaxis, hat bereits 1995, als Spiegel Online nicht mal ein Jahr alt war, für das Technologie-Magazin Wired einen Artikel über Innovation und ihre Auswirkungen auf die Medien geschrieben: „Einige der revolutionärsten neuen Ideen beruhen darauf, daß jemand etwas Altes entdeckt, das weggelassen werden kann, statt sich was Neues einfallen zu lassen, das man hinzufügen könnte.“
In seinen folgenden Ausführungen berichtet er vom Walkman, der einfach ein Kassettenrekorder ohne Verstärker und Lautsprecher ist. Er erklärt, dass man auch einfach Teile des Problems weglassen kann, wie alle Ziffern größer 1, um einen Computer zu bauen. Und, für uns am wichtigsten: Aus dem Modell „Zeitschrift“ lassen wir einfach „die Idee anständig gebundener und verkaufter Stapel von zu Hochglanzpapier verarbeitetem Holzbrei“ weg – die Leser erhalten trotzdem „eine Konzentration des Stoffes […], an dem sie interessiert sind, und das in einer Form, die leicht zu finden ist, mit dem zusätzlichen Vorteil, daß sie einfach nahtlos auf alle möglichen verwandten Materialien verweisen kann“.
Schon damals hat sich Douglas Adams die Frage gestellt, wie man diese neue Form des Mediums in Zukunft finanzieren könne. Denn bislang, so Adams, sei jeder Zeitungsverkauf hauptsächlich der Versuch gewesen, die Druckkosten zu amortisieren, mit denen man auch die journalistische Arbeit finanziert – so wie Xerox High-Tech-Kopierer entwickle, um einen (profitablen) Markt für Tonerpatronen zu schaffen.
Und ab dann wird es utopisch und im Rückblick leider falsch. Einerseits spricht er von Werbung, die online dadurch für alle Beteiligen (insbesondere auch die Werbenden) besser würde, wenn man ihre nervige Auffälligkeit weglässt – ohne Werbeblocker kann ich das Internet inzwischen nicht mehr aushalten. Andererseits spricht er davon, dass „Leser minimale Beträge dafür zahlen, daß sie beliebte Internetseiten lesen können“, was, so Adams, „wahrscheinlich sofort in in die Tat umgesetzt wird, sobald man im Internet virtuelles Bargeld benutzen kann“. Haha… Ha.
Jetzt kann man natürlich streiten, ob es wirklich so etwas wie „virtuelles Bargeld“ praktikabel gibt, aber klar ist auch, dass man im Internet sehr einfach Geld für Dinge zahlen kann. Die Frage ist also: Warum zahlen wir nicht? Beziehungsweise, weil ich hier nicht für alle Leser sprechen kann: Warum zahle ich nicht?
Abonnement-Kultur
Seit ich studiere, gucke ich zum Frühstück immer die öffentlich-rechtlichen Nachrichten vom Vorabend, um mich informationstechnisch halbwegs über Wasser zu halten. Von zu Hause kenne ich es, dass man auch eine Tageszeitung hat, die mehr oder weniger aufmerksam gelesen wird. Als aufgeklärter Mensch sage ich, es ist richtig, sich nicht nur aus einer Quelle zu informieren, und viele Informationen, die ich so aus dem Internet zu tagesaktuellen Themen erhalten könnte, sind von zweifelhafter Seriösität. Was spricht also gegen das Abonnement einer Print-Zeitung, vielleicht nicht täglich, aber immerhin doch wöchentlich – das sollte sich vom Umfang her bewältigen lassen.
Und so habe ich im Sommer 2015 nacheinander Probeabos von Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Zeit abgeschlossen.1 Ich bin mit dem Anspruch tiefster Wertschätzung an die ab dann wöchentlich in meinem Briefkasten landenden Zeitungen herangegangen – schließlich will ich eine fundierte Entscheidung treffen können, sollte ich mich für ein dauerhaftes Abonnement entscheiden. Und wenn ich irgendwann wirklich Geld für das Abo zahle, dann muss ich das ja auch ausnutzen, und (außer vielleicht dem Sport-Teil) alle Artikel lesen.
Doch die Wirklichkeit hat mich eingeholt, als der Stapel der ungelesenen Ausgaben der Zeit in meinem Schrank immer höher wurde. Als ich der Frau an der Zeit-Probeabo-Kündigungs-Hotline von meinem Papierberg als Kündigungsgrund berichtet habe, war ihre geschickt verkaufsfördernde Antwort: „Sie können uns ja auch digital abonnieren!“ Und da musste ich wirklich lachen.
Aber warum habe ich nicht so viel gelesen, wie ich mir vorgenommen habe? Ist meine Aufmerksamkeitsspanne zu kurz für die langen Artikel? Ist meine Wohnung zu klein, die riesige Zeitung vernünftig aufzublättern? Nehme ich mir nicht genügend Zeit für die Zeit? Ich bin inzwischen davon überzeugt, das Problem war ein anderes, nämlich mein Anspruch: Ich zahle (potentiell) für die Zeitung, also will ich sie auch komplett lesen. Ich glaube, nicht nur erfahrene Zeitungsleser werden über die Naivität dieser Aussage schmunzeln, aber ich halte das irgendwie für einen völlig legitimen Anspruch! Oder?
Es hat ein bisschen gedauert, bis ich für mich das Gegenbeispiel gefunden habe: Netflix. Da zahle ich doch auch monatlich, und Teufel, ich gucke mir nicht alles an. Und interessanterweise habe ich bei Netflix damit kein Problem, auch wenn man mal hypothetisch eine Rechnung aufmachen könnte: Etwa 8 € monatlich kostet Netflix pro Person.2 Das Studentenabo bei der Zeit kostet 2,65€ pro Ausgabe, also etwa 2,65€ x 52 / 12 ≈ 11,50€ pro Monat. Ich sehe ein, das ist eine naive Rechnung. Das normale Abonnement der Zeit kostet natürlich mehr, Netflix realistischerweise weniger, aber dennoch ist das nur ein verhältnismäßig kleiner quantitativer Unterschied, insbesondere, wenn ich versuche mit einzuberechnen, welchen Bruchteil von Netflix ich jemals gesehen haben werde und welchen Bruchteil der Zeit ich potentiell im Schnitt lese.
Kostenlos-Kultur
Warum zahle ich also trotzdem nicht? Naja, Nachrichten gibt es auch online, und dort insbesondere kostenlos. Wie eingangs festgestellt, gibt es Spiegel Online 2017 seit 23 Jahren kostenlos – und bei den anderen großen Zeitungen verhält es sich ähnlich. Ich bin damit aufgewachsen, dass das einfach so ist – natürlich fehlt mir dann irgendwo das Verständnis, dafür zu zahlen. Und die Versuche, online Zahlschranken einzuführen, sabotiert sich die Presse selbst: Erst kürzlich hat die Bild die Konkurrenz Focus Online dafür verklagt, die Bezahlinhalte (BILDplus) von der Bild-Website abzuschreiben und selbst kostenlos zu veröffentlichen – und die rechtlichen Implikationen sind kompliziert!
Letztendlich handelt Focus Online natürlich aus Eigeninteresse, denn sie nutzen Werbung zur Finanzierung, die natürlich mehr Geld einbringt, wenn möglichst viele Menschen die Seite mit möglichst günstig produziertem Inhalt anschauen – was vielleicht eine ökonomische Notwendigkeit ist, aber weiß Gott nicht das Optimum sein kann – und was für meinen Geschmack schon viel zu sehr nach Clickbaiting klingt: Attraktiver Titel, mehr Clicks, Inhalt egal und damit quasi immer ernüchternd.
Einen vermeindlichen Lösungsansatz präsentiert ein YouTuber in seinem Video rund um Fake News, in dem er in die frühen Tage der Zeitung zurück geht: Zeitung wurde von „Newsboys“ verkauft, die die Schlagzeilen auf der Straße ausgerufen haben. Diese Schlagzeilen mussten, um den Kaufimpuls zu verstärken, natürlich schnell Interesse für das Thema wecken – Clickbait 1.0. Ausweg damals war die Einführung des Abonnements: Man wusste, ein bestimmter Verlag hatte gute Inhalte, also gibt man ihm mit dem eigenen Abo eine sichere Einnahmequelle, die nicht mehr von effektvollen Titeln, sondern guten Inhalten abhängt.
Bleibt ein Abonnement-basiertes Bezahlsystem also langfristig gesehen doch der einzige Ausweg? Leider ist es wieder nicht so einfach: „Part of the problem: ‘Real News’ is behind a paywall, while the fake stuff is always free.“ Dass man an die guten Nachrichten in erster Linie nur noch im Abo rankommt, mag eine langfristig sinnvolle Idee sein. Aber die tendenziös ausgelegte Wahrheit, hinter der dann eine politische Agenda steht, wird kostenlos bleiben, weil sie sich im Zweifel wirtschaftlich gar nicht tragen muss, und damit zuerst auffindbar und ohne Abo als einzige Quelle überhaupt verfügbar sein.
„Aber was, wenn wir alle dazu zwingen, ein Abo abzuschließen? Wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, nur eben für alles.“ Vielleicht. So eine „Kultur-Flatrate“ klingt wie eine sehr schöne Utopie. Wer aber mal zu den AfD-Wählern und Pegida-Spaziergängern schaut, weiß, dass die „Zwangsabgaben“ womöglich einen noch schlechteren Ruf genießen als die „Lügenpresse“ insgesamt.
Kultur
Wie so oft bleibt die Antwort also: Es ist nicht einfach.
Ich für meinen Teil habe mir im Laufe des Verfassens dieses Artikels eine echte Zeitung abonniert. Sie erscheint monatlich, also habe ich gute Chancen, einen Großteil gelesen zu bekommen.3 Und sie kommt zu mir nicht online, auf einem PC, auf dem ich mich ablenken lassen kann, oder auf ein Tablet, das ich nicht habe. Sie kommt – ganz klassisch – in Papierform.
Ich hoffe, mein Zimmer ist groß genug, sie ordentlich aufzuklappen.
Wobei ich zugeben muss, dass die kostenlose Bionade, die es nach Feierabend im Hauptbahnhof beim kostenlosen Abschluss direkt dazu gab, meine Entscheidung maßgeblich mitbeeinflusst hat. ↩︎
Wenn man nicht von einem geteilten Account ausgeht, der die Kosten auf etwa 3 € drückt. ↩︎
Und nein, es ist nicht der Neologismus, auch wenn ich unseren Newsletter nur sehr empfehlen kann. ↩︎