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Die Naturgesetze der Information und ein Gottesbeweis

Oder: Wissenschaftlich Wirken für Anfänger

Mal angenommen, Sie, werte Leserin, werter Leser, wollen ein Argument bestreiten. Die Bühne gehört Ihnen, ob in Schrift oder gesprochenem Wort. Ihre These ist klar, provokant, bringt Menschen oder gar die Gesellschaft weiter. Sie haben nur ein Problem: Ihre These ist nicht unbedingt intuitiv ersichtlich. Vielleicht ist sie kompliziert, vielleicht ist sie übertrieben, vielleicht ist sie schlicht unsinnig.

Wie können Sie also nun Ihre Argumentation so gestalten, dass Sie Ihre Zuhörerinnen und Leser direkt davon überzeugen können, dass Sie ganz offensichtlich jemand vom Fach sind, der allein auf Basis des Autoritätsarguments recht haben muss? Wie formulieren Sie Beispiele und Schlussfolgerungen so, dass jede Gegenrede gleich im Keim erstickt? Kurz um: Wie wirken Sie wissenschaftlich, wo Wissenschaft nicht ferner sein könnte?

Dr. Werner Gitts Naturgesetze der Information

Die wenigen relevanten Regeln, wie man wissenschaftlich wirkt, wollen wir am Beispiel des renommierten Wissenschaftlers Dr. Werner Gitt, seines Zeichens ehemaliger Leiter des Fachbereichs Informationstechnologie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig. Insbesondere wollen wir uns hierbei seinen Vortrag „Herkunft des Lebens aus Sicht der Informatik“ anschauen, der auf Basis der von Gitt begründeten Naturgesetze der Information die Existenz des Gottes der Bibel beweist.

Aus natürlich rein wissenschaftlicher Perspektive lege ich das Studium des YouTube-Videos des Vortrags neben der Lektüre dieses Artikels nahe. Neben den Lehren, die wir zum wissenschaftlich Wirken aus dem Vortrag ziehen können, werde ich die Argumente natürlich auch kurz inhaltlich umreißen. Dabei werde ich bei den Kapiteln, die Gitt in seinen Vortrag einbaut, immer einen Hinweis im Text einbauen, sodass ein paralleles Hören und Lesen möglich ist.

1. Die richtige Titelfolie

Das erste, mit dem Ihre Zuhörer bei einer Präsentation konfrontiert werden, ist, noch bevor Sie ein Wort sagen, Ihre Titelfolie. Hier gilt es, Lust auf den Vortrag und das Thema zu machen. Neben dem spannenden Titel, der natürlich nicht zu viel verraten sollte, kann man hier mit vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten wie unterschiedlichen Schriftarten und allerlei Bildern etwa von Planeten oder 0en und 1en im Beispiel von Gitts Vortrag zeigen, dass man nicht nur in Hinblick auf das Thema, sondern auch in Hinblick auf PowerPoint ein echter Profi ist.

Das geschriebene Wort hat hier nicht so viele Möglichkeiten wie ein visuell begleiteter mündlicher Vortrag, doch kann auch hier viel getan werden. So empfahl etwa meine Fakultät in den Mustervorlagen Word-Art auf der Titelseite der Bachelorarbeit.

2. Der richtige Einstieg

Ihr Ziel ist es, Ihr Publikum abzuholen. Hier sind die Möglichkeiten weit gestreut. Im Beispiel bei Dr. Werner Gitt ist dies ein als Anekdote getarnter Witz. Dabei ist es wichtig, stets zielgruppenorientiert zu bleiben. Dr. Gitt ist sich bewusst, vor einem etwas älteren Publikum zu sprechen, da dürfen ruhig ein paar Klischees über einen Indianerhäuptling verwendet werden, der seinem Volk aufträgt, für den wahrscheinlich harten Winter Holz zu sammeln. Als er sich bei dem „weißen Wissenschaftler“ um die Ecke erkundigen möchte, ob der Winter wirklich hart wird, sagt dieser „ja, schließlich sammeln die Indianer so viel Holz“. Gitt gestaltet hier weiter aus, aber die Punchline sitzt und das Publikum lacht aufgelockert.

Dabei ist es ganz egal, ob die Einleitung etwas mit dem Thema zu tun hat. Gitt sagt es selbst: „Das wird uns nicht helfen, auch in der Beantwortung der heutigen Frage nicht.“ Allerdings hat er hier geschickt bereits seinen ersten Trick versteckt, der ein möglicherweise wissenschaftlich schwaches Argument stärkt: Er schwächt die Wissenschaft selbst ab: der „weiße Wissenschaftler“ mit all seinen Gerätschaften konnte dann doch nicht vorhersagen, wie hart der Winter wird, sondern hat sich selbst nur auf die Indianer verlassen. Unterschwellige These: „Diese Wissenschaftler wissen es ja auch nicht besser. Bauchgefühl ist genauso gut“.

3. Die provokante These Forschungsfrage

Sie können jetzt ihr eigentliches Thema in Angriff nehmen: Information kann mehr über das Leben aussagen als Biologie. Die Formulierung der These ist dabei die perfekte Überleitung in die Inhaltsübersicht, nämlich wie Sie Ihre Aussage zu belegen gedenken. Wichtig ist: Stellen Sie heraus, wie zentral und weitreichend Ihre Erkenntnisse sind, aber auch, dass es nicht so einfach wird, das zu belegen. Weisen Sie darauf hin, dass diese Begründung jedoch zentral ist, um wissenschaftlich zu sein, und nennen Sie nun die Gebiete, über die Sie reden werden, ohne wirklich zu sagen, worum es geht. So zeigen Sie, dass die Themen wirklich kompliziert und somit wissenschaftlich sind.

Als kleines Schmankerl oben drauf nutzt Gitt die Möglichkeit, sein Publikum aufzuwerten. Wieder zielgruppenorientiert sagt er quasi beiläufig, wie gut doch alle den Computer bedienen können. Damit schmeichelt er seinen Zuhörern und Zuhörerinnen, die ihm nicht nur wohlgesonnener sind, sondern die Thesen dadurch auch später wesentlich standfester vertreten werden – schließlich waren sie ja so schlau, der als komplex angekündigten Argumentation zu folgen.

4. Das einfache Beispiel

Etablieren Sie abstrakte Konzepte anhand einfacher Beispiele. Gitt tut das hier in seinem ersten Kapitel „Grundlegendes in den Naturwissenschaften“. Er will dabei das Konzept eines (gott-)gegebenen Gesetzes einführen, die ein grundlegender Mechanismus von Naturwissenschaften seien: (x+y)² ist ungleich x²+y², schließlich gibt es dagegen ein „Gesetz der Mathematik“. Auch in der Physik oder Chemie gibt es mit dem „Energiesatz“ und der „Stöchiometrie“ entsprechende Gesetze, die bestimmte Dinge verbieten, wie etwa, dass Wasser bergauf fließt.

Solche Beispiele leuchten ein und helfen hier, das abstrakte „Gesetz“ einzuführen und als Kernteil von Wissenschaften zu definieren. Dabei ist es ganz egal, ob das nichts ahnende Publikum hier gezielt in die Irre geführt wird. Dass „Gesetze“ kein Selbstzweck, sondern vielmehr Nebenprodukt von wissenschaftlicher Arbeit sind, deren Kernpunkt bei Naturwissenschaften Falsifizierbarkeit, bei Mathematik Ableitung allgemeiner Wahrheiten aus Axiomen ist, stört spätere Argumente und wird daher unter den Tisch gekehrt.

5. Die wissenschaftliche Methode

Betonen Sie stets die Methode, mit der Sie vorgehen, und legen Sie dabei Wert darauf, dass diese zu jedem Zeitpunkt als „wissenschaftlich“ konnotiert wird.

Dr. Gitt erreicht dies auf zwei Wege. Zum einen stellt er seiner Methode einen wissenschaftlichen Kontext vor: Er spricht von den klassischen Naturwissenschten und ihren Methoden (die „Gesetze“ aus dem vorigen Abschnitt). Zum anderen betont er auch explizit die Wissenschaftlichkeit: „Wir schauen uns bekannte Systeme an, … wir werden sie beobachten und Experimente machen. Und das Ergebnis wird sein, dass wir dann die Naturgesetze herausfinden. Und wenn wir die Naturgesetze kennen, … können wir sie anwenden auf unbekannte Systeme … und können dann Schlussfolgerungen ziehen.“ Und obwohl hier ein paar Dinge schwammig formuliert werden (Was sind die unbekannten Systeme? Sind die Gesetze hier überhaupt anwendbar?), schreit diese Aussage gleichsam „Ich bin Wissenschaft!“

Ob man sich im Anschluss wirklich im Einzelnen an die vorgestellte Methode hält, ist dabei irrelevant. Gitt wird keine Experimente durchführen. Seine Naturgesetze werden nicht zwingend irgendwelche „Ergebnisse“ sein und seine Schlussfolgerungen somit mindestens zweifelhaft. Aber das ist egal – die Methode ist als wissenschaftlich gesetzt.

6. Englisch als Lingua Franca

Es lohnt sich zu zeigen, dass die eigenen Ansichten auch international vertreten und diskutiert werden. Im deutschsprachigen Raum ist dies sehr einfach zu erreichen: Englisch als die internationale Verkehrssprache kann einfach ganz subtil in Fachbegriffen und Schaubildern eingesetzt werden, um zu zeigen, wie weltgewandt man selbst und die eigenen Thesen doch sind.

Dr. Gitt weist sogar explizit darauf hin, dass er den Vortrag zunächst auf Englisch gehalten hat und beeindruckt seine Zuhörer damit, dass er von lauter Um-die-Welt-Jetten noch nicht mal Zeit hatte, seine Folien vollständig zu übersetzen. Was ein Tausendsassa!

7. Schaubilder

„Seien Sie visuell!“ ist nicht nur ein Tipp im rhetorischen Sinne, da Grafiken Ihr Argument anschaulicher machen werden, sondern auch ein wichtiges Hilfsmittel, um wissenschaftlicher zu wirken. Es zeigt, wie gut Sie ein Thema strukturiert haben. Nutzen Sie wenn möglich die Modellierungssprachen Ihrer Domäne – das zeigt, dass Sie diese beherrschen.

Dr. Gitt nutzt Schaubilder gerne, um seine eigene Vorgehensweise nicht nur im Subtext, sondern auch im Text als wissenschaftlich darzustellen. In dem Schaubild, das er nun auflegt, grenzt er die unterschiedlichen Erkenntnisstufen der Wissenschaft von Spekulation über Hypothese und Theorie („kann vielleicht schon ein paar Voraussagen machen“) bis zum Naturgesetz („nicht menschengemacht“, „stammen vom Urheber der Welt überhaupt“) voneinander ab. Das wertet unbewusst die Evolutionstheorie ab und seine eigenen später genannten Naturgesetze auf.

Auch im nächsten Schaubild wertet er seine eigene Theorie auf: Leben baut auf Information baut auf Materie auf. Information ist also wichtiger als Leben. Dass die Reihenfolge zwischen Information und Materie durchaus diskutierbar wäre, ist durch die beeindruckende visuelle Darstellung im Diagramm gleich vergessen.

8. Zitate

Zitate zeigen, dass Sie sich mit den zentralen Aussagen anderer Experten Ihres Gebiets gut auskennen. Zugleich sind sie hübsch prägnant und erlauben Ihnen, sich eine vereinfachende Sicht auf die Dinge nur bedingt zu eigen zu machen.

Gitt zitiert hier zum Beispiel Louis Pasteur: „Leben kann nur von Leben kommen.“ Vereinfacht formuliert wird hier axiomatisch das Ergebnis „Evolution ist Unsinn“ vorweggenommen, ohne dass sich Gitt selbst einer wissenschaftlichen Ungenauigkeit schuldig machen müsste. Jedoch erhebt er ihn sogleich selbst zum Naturgesetz, dem Maß aller Dinge, weil er noch nie wiederlegt worden sei.

Insbesondere die Methoden der Schaubilder und der Betonung der Wissenschaftlichkeit der Methode dominieren auch Gitts zweites bis viertes Kapitel, „Systeme, die auf Information basieren“, „Einige Aussagen über Naturgesetze“ und „Suche nach einer wissenschaftlichen Definition für Information“. Dadurch kann er widerstandslos argumentieren, dass, was keinen Gewichtsunterschied macht (wie ein Computerprogramm bzw. Information auf einem Roboter oder Leben bzw. Bewusstsein in einer Ameise), nichts mit Materie zu tun haben kann. Zudem wird das Konzept des „Naturgesetzes“ durch umfangreiche Beschreibungen und Anekdoten aufgewertet.

9. Fachbegriffe

Fachbegriffe zeigen, dass sie das Thema verstanden haben, und muten zugleich sehr wissenschaftlich an. Ihre Verwendung verstärkt Ihre Argumentation aber nicht nur durch ein suggeriertes Autoritätsargument, sondern helfen auch, die Diskussion in Ihrem Sinne zu lenken, da Sie mit der Definition bestimmen können, worüber geredet wird.

Dr. Gitt verwendet Fachbegriffe besonders exzessiv bei seiner „wissenschaftlichen Definition für Information“. Ihre Bestandteile sind:

  1. Statistik Signalart, Anzahl des Symbole etc.
  2. Syntax verwendeter Zeichensatz und Grammatik
  3. Semantik Bedeutung, „das, was in einem Buch drinsteht“
  4. Pragmatik Handlung, die auf Basis von Information stattfindet, beispielsweise die Entwicklung des menschlichen Embryos
  5. Apobetik Ziel/Ergebnis der Information, „warum sie gesendet wurde“

Ein wahres Feuerwerk der Fremdsprachen, das gekonnt darüber hinwegtäuscht, dass es auch noch andere Definitionen von Information gibt, wie etwa die von Claude Elwood Shannon, Begründer der Informationstheorie, der Information nur auf statistischer Ebene betrachtet, um Nachrichten von Hintergrundrauschen trennen zu können, und die durchaus auch zufällig entstandene Nachrichten ohne Ziel und Intention erlaubt, die trotzdem sinnvoll und somit Information sind. (Shannon wird später durchaus genannt, allerdings erst nachdem Gitts Definition schon tief unter weiteren Argumenten begraben wurde. Es zählt, wer die Definition zuerst bestimmt, und hier hat der Vortragende absolute Kontrolle.) Gerade die axiomatische Forderung der Apobetik wird für Gitt später sehr relevant.

10. Nummerierungen

Nummerierte Aufzählungen suggerieren Struktur. Wer etwas durchnummeriert, hat sich Gedanken gemacht, diese strukturiert, also wissenschaftlich gearbeitet und somit recht. Nicht umsonst nummeriere ich auch diese Tipps hier fortlaufend.

Auch Gitt nummeriert ständig. Kapitel, Beispiele, Eigenschaften von Naturgesetzen und, ganz zentral, die von ihm ersonnenen 10 „Naturgesetze über Information“, die er in Kapitel 5 darlegt. Weil sie inhaltlich so relevant sind, möchte ich sie auch hier kurz umreißen:

  1. Irgendetwas Materielles, wie physikalische und chemische Prozesse, kann nichts Nicht-Materielles hervorbringen.
  2. Information ist eine nicht-materielle fundamentale Größe und nicht eine Eigenschaft der Materie.
  3. Information benötigt ein materielles Medium zur Speicherung und Übertragung.
  4. Information kann nicht in statistischen Prozessen entstehen.
  5. Es gibt keine Information ohne Code.
  6. Jeder Code ist ein durch Intelligenz entstandener Zeichensatz und beruht auf der gegenseitigen Vereinbarung von Sender und Empfänger.
  7. Die Zuordnung von Bedeutung zu und von einem Zeichensatz ist ein geistiger Prozess, der Intelligenz erfordert.
  8. Es gibt keine neue Information ohne einen intelligenten und zielorientierten Sender.
  9. Jede Informationsübertragungskette kann zurückverfolgt werden bis zu einer intelligenten Quelle.
  10. Information bildet die nicht-materielle Basis für alle technischen Systeme, Kunstwerke und biologischen Systeme.

Der Kenner bemerkt, dass die Argumentation für Gitt hier reif genug ist, umgedreht zu werden. Er betont zwar, dass seine „Naturgesetze“ nie widerlegt wurden (was auch nur bedingt stimmt), jedoch ist seine abschließende Begründung stets „weil es ein Naturgesetz ist“ oder das Gesetz ist gleich selbst Teil der vorangegangenen „Definition“ von Information. Der Hörer ist bereits so sehr von der Wissenschaftlichkeit des Vortragenden eingelullt, dass er diesen Zirkelschluss gar nicht bemerkt: Wir wollen ja eigentlich zeigen, dass etwas ein Naturgesetz ist, die Begründung dafür ist jedoch, dass es ein Naturgesetz ist.

Während Sie, werte Leser, wahrscheinlich schon ahnen, worauf es hinausläuft, geht Gitt die letzten Schritte, um die Wissenschaftlichkeit bis zu seinen finalen Schlussfolgerungen aufrecht zu erhalten. Jetzt wird gezeigt, dass es sich bei den biologischen Informationen in der DNA eindeutig um Information handeln muss. Dass dazu angenommen werden muss, dass gemäß der Apobetik eine Intention hinter Information steht, kann unter den Tisch gekehrt werden. Und damit ist der Zirkelschluss perfekt:

DNA ist Information, und Information muss einen Sender haben, und dieser Sender muss dann ganz offensichtlich Gott sein. Das legt Gitt jetzt im letzten Kapitel, „Sieben sehr weitreichende Schlussfolgerungen“, dar – nicht, ohne vorher nicht nochmal zu betonen, wie wissenschaftlich sein Vorgehen war, dass sogar Studenten an Universitäten (Autoritätsargument) die Wissenschaftlichkeit einsehen müssen.

Seine Schlussfolgerungen sind im Einzelnen:

  1. Kein Atheismus! Weil der DNS-Code, den wir in allen Lebensformen finden, eindeutig innerhalb des Definitionsbereiches von Information liegt, können wir schließen: Es muss einen Sender geben!
  2. Der Sender ist allwissend! Weil die Dichte und Komplexität der in der DNS entschlüsselten Informationen billionenfach größer ist als unsere gegenwärtige Technologie, können wir schließen: Der Sender muss höchst intelligent sein! Über die Grenzbetrachtung, dass der höchst intelligente Sender ja einen noch intelligenteren Sender haben muss, kann hier von Allwissenheit gesprochen werden.
  3. Der Sender ist allmächtig! Weil der Sender die Information in die DNS-Moleküle geschrieben und die Biomaschinen konstruiert haben muss, die zum Verschlüsseln und Decodieren der Information und zur Synthese aller erforderlichen Stoffe erforderlich sind, und alle Konzepte in den ursprünglichen Lebensformen konstruiert haben muss, können wir schließen: Der Sender muss sehr zielbewusst und extrem mächtig sein! Über Grenzwertbetrachtung kann analog von Allmächtigkeit gesprochen werden.
  4. Gott ist Geist! Weil Information eine nicht-materielle Größe ist, kann sie nicht aus einem materiellen Prozess stammen. Wir können darum schließen: Der Sender muss eine nicht-materielle Komponente haben (Geist)!
  5. Kein Materialismus! Weil Information eine fundamentale nicht-materielle Größe ist, die nicht von einem materiellen Prozess stammen kann, der Mensch aber in der Lage ist, Informationen zu erzeugen, können wir schließen: Der Mensch muss eine nicht-materielle Komponente besitzen! (Seele, Geist)
  6. Kein Urknall! Weil Information eine nicht-materielle Größe ist, können wir schließen, dass die Behauptung „das Universum sei nur aus Masse und Energie entstanden“, falsch ist!
  7. Keine Evolution! Weil auch die biologische Information nur von einem intelligenten Sender kommen kann, und alle Theorien der chemischen und biologischen Information verlangen, dass Information von alleine aus Masse und Energie entstanden sein muss (kein Sender), können wir schließen, dass alle Theorien oder Konzepte der chemischen und biologischen Evolution falsch sein müssen.

Da diese Schlussfolgerungen so schön aufeinander aufbauen und in die vorigen Argumente passen, die ja sehr wissenschaftlich waren, akzeptiert sie der Zuhörer als Wahrheit.

11. Literaturkenntnis

Als kleines Schmankerl wirft Gitt noch seine Literaturkenntnis in den Ring. Literatur zeigt ähnlich wie Zitate (siehe 8.), dass man sich auskennt und somit wissenschaftlich arbeitet. Gitt zitiert hier aus einem Standardwerk aus dem von ihm im Vortrag behandelten Themenfeld. Er zitiert unter anderem Römer I aus dem Neuen Testament der Bibel – das muss ja dann stimmen! Und dass kein Kommentator vor ihm eine Antwort auf die dort gestellte Frage wusste, stellt zudem seine Qualifikation und die Bedeutung der soeben gewonnenen Erkenntnisse heraus. Außerdem dabei: von Psalmen über Johannes bis Offenbarung alles, was Rang und Namen hat.

Denn wichtig: Wählen Sie nur Paper und Journals mit hohem Impact-Faktor als Informationsquelle! Nur die Bibel kann hier auf eine über 2000-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken.

12. Das richtige Fazit

In einer wissenschaftlichen Arbeit muss das Fazit zusammenfassen, was die Leserin oder der Zuhörer gelernt hat. Das tut natürlich auch Gitt. Er wählt zusätzlich noch einen zielgruppenorientierten Ausstieg, indem er wieder eine Geschichte aus der Bibel erzählt und das Gelernte auf diese Geschichte anwendet.

Damit setzt er ganz geschickt auch einen Rahmen für die anschließende Fragerunde. Diese ist nämlich nach wissenschaftlichen Vorträgen unvermeidlich, und wer hier schon eine Richtung definieren kann, weiß genau, worauf er antworten muss.

Fazit

Wir haben sehen also: Der Vortrag „Herkunft des Lebens aus Sicht der Informatik“ von Dr. Werner Gitt aus dem Jahr 2007 ist ein Paradebeispiel für die Prinzipien, mit denen sich ein wissenschaftlicher Anschein sehr einfach aufbauen lässt, und mit welchen Tricks auch die absurdeste These glaubwürdig vermittelt werden kann.

Zum Schluss doch noch ein paar ernstere Worte. So lustig es ist, anhand dieses Vortrags eines Kreationisten allgemeingültige Prinzipien herauszuarbeiten, mit denen man wissenschaftlich wirken kann, so ernst ist letztendlich doch der Inhalt, den Dr. Werner Gitt seinen Zuhörern und Zuhörerinnen vermittelt. Und der Mann hat keinen Doktor der Theologie, sondern einen Dr.-Ing. und hat jahrelang einen technologischen Fachbereich geleitet. Besonders schlucken musste ich bei einer fast nebenbei fallen gelassenen Bemerkung: „Wir können tausende von Schulbüchern verbrennen, nicht weil wir Spaß an Flammen haben, sondern weil sie falsch sind.“ Dass jemand, der zudem noch direkt von den Spätfolgen des NS-Regimes betroffen war, im Jahr 2007 so einen Satz, egal auf welchen Kontext bezogen, fallen lassen kann, während das Publikum lacht, stimmt zumindest mich persönlich sehr nachdenklich.


Titelbild: Daniel Friedman (CC BY-NC 2.0)
Ebenfalls erschienen im Neologismus 18-03

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